Laurel Halo wirbelt ordentlich DUST auf

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Vor kurzem machte die Meldung die Runde, dass weniger und weniger E-Gitarren verkauft werden. Das Prinzip „Rockstar“ hat, zumindest für den Moment, ausgedient. Das liegt daran, dass die musikalisch interessanten Entwicklungen ganz woanders stattfinden, zum Beispiel in der elektronischen Musik – und zwar in der elektronischen Musik, die sich vom rein Funktionalen des Dancefloors gelöst hat und die vielfältigen Möglichkeiten der Produktion auslotet. Gleichzeitig experimentell und zugänglich, so lautet die Formel für relevante elektronische Musik – und genau so hört sich die Musik der in Berlin lebenden US-Amerikanerin Laurel Halo an. Ich habe Laurel Halo in einem Kreuzberger Café getroffen und mit ihr über Musik im Algemeinen und ihr neues Album „Dust“ im Speziellen gesprochen. Aber der Reihe nach. Also: Alles, wirklich alles, uns eingeschlossen, besteht aus kosmischem Staub. Mit Staub fängt alles an, mit Staub hört es wieder auf. Klitzekleine Teilchen als Sinnbild für den großen Kreislauf des Lebens. Auch das meint die Produzentin Laurel Halo mit dem Titel ihres neuen Albums: „Dust“. „Wenn sich der Staub gelegt hat - Staub aufwirbeln - jemandem im Staub liegen lassen ... Staub ist ewig und für mich steht er für den Wechsel, für das Werden und Vergehen“, sagt sie im Interview.

Laurel Halo kommt aus den USA, sie hält ihr Alter für irrelevant, solange es um ihre Musik geht und sie lebt seit drei Jahren in Berlin. Es ist die schon oft erzählte Geschichte von den immer noch billigen Mieten und Lebenshaltungskosten – jedenfalls im Vergleich zu New York oder London – die sie nach Deutschland gebracht haben. Sie will sich auf ihre Kunst konzentrieren, nicht aufs Geldverdienen. Wie sollte das auch gehen mit einer Musik, die wie ein Experiment wirkt und nur wenig bis gar nichts mit Kommerz zu tun hat? Laurel Halo: „Ich weiß, dass ich nischenhafte, seltsame Musik mache, die nicht so einfach zugänglich ist. Ich suche auch nicht den massenhaften Erfolg, mir bedeutet es vor allem etwas, wenn meine Familie, wenn andere Produzenten oder Musiker, die ich schätze, positiv auf meine Songs reagieren. Das ist die spirituelle Nahrung, die mich antreibt!“

Dust ist das dritte Album von Laurel Halo. Wie auf den Vorgängern „Quarantine“ und „Chance of Rain“ treffen Elektronisches, vertrackte Rhythmen, Geräusche, Stimmen, Stimmfetzen und Stimmungen aufeinander, ohne dass sich das in Genre-Schubladen stecken ließe. An Jazz, an Ambient, an Bassmusik oder R’n’B erinnernde Soundstücke blitzen zwar kurz auf, verschwinden dann allerdings wieder schnell im Meer der Klänge. Aber etwas ist dann doch anders: diese Songgebilde wirken selbstsicherer, größer, luftiger als in der Vergangenheit. Neben der Elektronik spielen auch Instrumente wie Vibraphon und Saxofon eine Rolle. Und aus der Solokünstlerin Laurel Halo, die früher einmal Klavier und Geige gelernt hat, ist eine Teamspielerin geworden: Julia Holter, die sie noch von der Uni in den USA kennt, taucht auf „Dust“ auf, genau so wie die Londoner Produzentin und Sängerin Klein – und eine Handvoll anderer Musiker – zusammengehalten von Laurel Halo, die daraus ihren ganz eigenen Sound formt: „Ich gehe an meine Musik ganz sicher nicht nach dem Schema heran, „Pop plus Dub plus Musiqe Concrete plus Jazz ergibt das oder das“. Nein, am Anfang stehen ein paar Schlüsselbegriffe, eine bestimmte Stimmung, die ich erreichen will und dann entwickelt sich das organisch. Wenn ich etwa ein Saxofon einsetze, dann mache ich das nicht, um nach Jazz zu klingen, sondern um eine bestimmte filmische oder dunkle Atmosphäre zu erreichen.“

Wenn Atmosphäre und Stimmung die Musik bestimmen, dann spielen Songtexte naturgemäß eine untergeordnete Rolle. Um was es in den Liedern von „Dust“ konkret geht, ist deshalb kaum herauszuhören. Sind es Liebeslieder? Frei fließende Gedankenströme? Abstrakte Wortberge? Alles scheint möglich – auch die Songtitel selbst geben keine Auskunft: „Jelly“, „Moontalk“, „Sun To Solar“ heißen die Stücke. Oder auch: „Nicht ohne Risiko“ und, ganz profan, „Arschkriecher“. Laurel Halo, das merkt man da, nähert sich gerade der deutschen Sprache, die sie für beeindruckend effizient hält, bei der sie sich aber im Augenblick noch fühlt wie ein Bergsteigerin im Angesicht eines steilen Abgrunds.



Mit Worten lässt sich „Dust“ ohnehin nur schwer erklären, auf Englisch genauso unzulänglich wie auf Deutsch. Und natürlich ist das, wie Laurel Halo ganz richtig feststellt, Nischenmusik. Aber Nischenmusik, die ein kleines Kunststück vollbringt: die künstliche Welt der maschinengemachten Musik und die natürliche der Stimmen kommen hier auf äußerst leicht erscheinende Art und Weise zusammen. An so einer Symbiose haben sich in den letzten Jahren viele Produzenten versucht, nicht vielen ist das so gut geglückt wie der amerikanischen Musikerin – selbst wenn das gar nicht ihr eigentliches Ziel ist. „Ich höre so viel unterschiedliche Musik und meine eigenen Songs spiegeln meine Neugier und meine Liebe in Sachen Musik wider. Ich glaube nicht, dass ich ein Album machen könnte, das in eine einzelne Genre-Schublade passt. Ein großer Teil der heutigen Musik ist ziemlich konservativ und Genres engen die Möglichkeiten von Musik ein. Dagegen arbeite ich an.“

(Das ist das umgeschriebene Manuskripts eines Beitrags, den ich für den Deutschlandfunk Kultur produziert habe. Nachzuhören unter diesem LINK, jedenfalls im Augenblick, da ich das schreibe.