Mäuse im Affenstall

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Nein, sie konnten es ja wirklich nicht ahnen, dass sie mal berühmt werden würden. Sonst hätten sich Jan St. Werner und Andi Toma, als sie vor 19 Jahren zusammen kamen, um von da an als Mouse on Mars elektronische Musik zu machen, einen anderen, ernsteren Namen gegeben. Aber das ist ja nun nicht mehr zu ändern. Und vielleicht sogar ganz gut, Mouse on Mars haben nämlich geschafft, woran so viele andere Bands und Produzenten aus dem elektronischen Lager scheitern: Sie gehen nicht nur sehr einfallsreich und experimentell an ihre Musik heran, sondern nehmen sich dabei auch nicht ernster als nötig, ganz so, als würde der Name sie dazu verpflichten.
Auch auf ihrem neuen Album „Parastrophics“, das Ende Februar erscheint, sind sie wieder zu finden, diese feinen Spuren von Selbstironie, die seltsam und lustig anmutenden Sounds. Alles ist Teil des Gewimmels von analogen und digitalen Klängen, von verschiedenen Instrumenten, Stimmen, Beats und Geräuschen. Hier wird nichts kopiert oder geklaut, selbst Samples spielen keine Rolle. Die beiden Mäuse schöpfen nicht aus der Vergangenheit, sondern vor allem aus sich selbst, sie haben aus all den Strömungen, die die elektronische Musik kennt, aus Techno und Dub und Breakbeats, aber auch aus Jazz und Rock etwas eigenes geschaffen, das sich platten Erklärungsversuchen widersetzt. Mouse on Mars, das ist ein großer Teil ihres Geheimnisses, klingen immer wieder anders, aber immer nach sich selbst.

Sechs Jahre ist es her, dass die beiden ihren Sound das letzte Mal unter ihrem Mäuse-Pseudonym auf ein Album gebannt haben. Eine halbe Ewigkeit, gerade im Elektronik-Bereich, wo manche Produzenten alle paar Wochen mit neuen Stücken um Aufmerksamkeit ringen. Aber das haben Mouse on Mars nicht mehr nötig. Zum einen, weil sie ja trotzdem nicht untätig herumsaßen, sondern regelmäßig live spielten oder mit verschiedenen Seitenprojekten ihre Zeit verbrachten - unter anderem, als Von Südenfed, mit Mark E.Smith von The Fall. Zum anderen haben sich Mouse on Mars vom typischen Musikerzyklus „Album – Tour – Album – Tour“ verabschiedet. „Wir sind halt nicht die Strokes, wir sind Mouse On Mars und können letztlich machen, was wir wollen. Wir sind eher wie ein wissenschaftlicher Club mit Musikformat,“ erklärt Jan St. Werner den komfortablen Status, den das gemeinsame Projekt nach wie vor genießt.
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Etwas aber ist doch anders: Jan St. Werner und Andi Toma, die aus Köln bzw. aus Düsseldorf stammen, sind nach Berlin gezogen, der eine vor vier, der andere vor zwei Jahren. So lange existiert auch ihr Studio in Adlershof, wo ein Großteil der Songs von Parastrophics, ihrem zehnten Album, entstanden sind – ihr Berlin-Album, wenn man so will. „Schneller als je zuvor wechselt die Stadt ihr Gesicht in verschiedenen Bereichen. Vieles läuft parallel. Das ist einfach wie ein Nährboden, auf dem wir schauen, was um uns rum wächst und wovon wir uns ernähren“, sagt Jan St. Werner und erklärt damit, was Mouse on Mars auch im 20. Jahr ihres Bestehens brauchen: Input von Menschen, die anders sind als man selbst: „Viele unserer Bekannten sind bildende Künstler oder machen Mode oder kochen oder backen. Das ist das, was uns interessiert.“ Und nicht, fügen die beiden hinzu, die Berliner Clublandschaft.“
Wer nach solchen Äußerungen verkopfte, verfrickelte Musik erwartet, liegt falsch: Parastrophics ist rockig und ravig zugleich und passt perfekt zu Monkeytown. Monkeytown ist das Plattenlabel eines anderen einflussreichen Electronic-Duos, es gehört Modeselektor aus Berlin, dort sind Mouse on Mars inzwischen gelandet. Der erste Kontakt kam zufällig zustande – man hatte die gleiche Promoterin in den USA – dann stellte sich schnell heraus, dass hier Geistesverwandte zueinander gefunden haben: Modeselektor haben den Anspruch, Musik zu machen, die nicht den klischeehaften Vorstellungen eines „Sounds of Berlin“ entspricht. Und an Klischees wollen sich auch Mouse on Mars nicht abarbeiten: „Monkeytown ist gutes Beispiel dafür, dass es diesen ganz klaren Sound der Stadt nicht geben muss. Das Label steht für die weltoffene Idee von offener Musik, die im Club verortet ist. Aber im Club geht ja inzwischen viel mehr, das ist ja einer der letzten Orte, an dem man nicht immer schon weiß, was passiert, wenn man ihn betritt.“

Musik als Experiment, Musikmachen als Selbstversuch – so gehen Mouse on Mars vor. Um „anzuspringen“, wie sie es nennen, um Interesse für die eigene Musik zu entwickeln, müsse man sich selbst überraschen: „Wir bringen uns immer wieder in Situationen, wo das Ende nicht absehbar ist. a) wo es nicht klar ist, wann es kommt und b), wann es kommt.“ Auch deshalb strahlten die Mäuse-Songs oft etwas Spontanes und Unvorbereitetes aus, die aufeinander gestapelten Soundschichten konnten chaotisch und strukturiert zugleich wirken. Und auch deshalb konnten Mouse on Mars ihren Ruf als wichtiges und relevantes Electronic-Projekt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien und den USA festigen.
Aber natürlich haben sie das auch geschafft, weil sie ihre Musik intellektuell aufladen können, ohne am Ende als verkopfte, blutleere Frickler dazustehen. Auf dem neuen Album etwa, so erzählen es Andi Toma und Jan St. Werner, gebe es verschiedene Erzählstränge, die durch eine „dandyeske Figur“ zusammengehalten würden. Unklar sei dabei, ob diese Figur einer oder mehrere, ob sie Mann oder Frau sei. Bei Hören aber, das muss man den beiden erwidern, spielen solche Informationen überhaupt keine Rolle. Parastrophics wirkt eher wie ein riesiges Sammelbecken von Ideen: So wie Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ aus dem Geruch junger Frauen das absolute Parfum schuf, machen sich Mouse on Mars daran, eine Essenz der Popmusik zu kreieren – aber eben nach ihren Gesetzen: „Wir haben auf den Moment gewartet, wo das ganz selbstverständlich umkippt. Ein Tropfen aus eine Riesenbassin, was aufgefüllt ist mit verschiedenstem Zeugs, der so ganz aus Versehen an der Seite raustropft und wir dann das Gefäß haben, um diesen Tropfen aufzufangen.“
Fast 20 Jahre gibt es Mouse on Mars jetzt. Die Band ist etabliert, sie gehört zur Geschichte der elektronischen Musik und zwar so sehr, dass es in den Augen der beiden keine Rolle spielt, ob man nun aktiv mitmischt oder nicht. Das Musikbusiness hat sich in dieser Zeit komplett gewandelt, was für das Duo aber nicht sonderlich relevant ist – die beiden verdienen ihr Geld vor allem mit Auftritten. Vor kurzem haben Andi Toma und Jan St. Werner ihre Agentur, die sie in alle Ecken der Welt schickt, gefragt, wie lange das wohl noch geht. Die Antwort: Es gibt keine Regeln, keine Präzedenzfälle. Das Genre der elektronischen Musik ist so jung, dass die Pioniere immer noch da sind und noch keiner klar gemacht hat, wann es aufhört. Wenn man es geschickt macht, kann es ewig gehen, sagt Jan St. Werner. Trotz oder vielleicht sogar wegen eines albernen Namens wie Mouse on Mars.