Der nicht allzu heimliche Ninja-Angriff

Flower
Was haben das wiedervereinigte Deutschland und das englische Plattenlabel Ninja Tune gemeinsam? Sie beide sind 20 Jahre alt. Aber 20 Jahre als Staat zu überleben und 20 Jahre in der Popindustrie, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Obwohl es ja auch schon tausendjährige Reiche gegeben hat, die nach 12 Jahren den Geist aufgegeben haben (na gut, der fehlte schon von Anfang an, aber ihr wisst schon, was ich meine!). Gegründet wurde Ninja Tune von Matt Black und Jonathan More alias Coldcut. Was sie sich wohl dabei gedacht haben?
Es kann natürlich sein, dass man noch nie von Ninja Tune gehört hat - denn auch wenn die Kritik von „Kultstatus“ spricht: Stars und Hits hat Ninja Tune in seinen 20 Jahren nicht hervorgebracht. Dafür haben sich dort eine ganze Reihe von Künstlern aus ganz verschiedenen Bereichen zusammengefunden, die wegweisend für andere waren. Musikstile wie abstrakter HipHop, Downbeat und Electronica wurden definitiv von Ninja Tune mitbestimmt, man kann trotz aller Unterschiede eine ganz bestimmte Ninja-Tune-Handschrift erkennen, ohne dass man Ninja Tunes, wie mitunter der Fall, sogar als eigenen Musikrichtung verklärt. Und wie sieht diese eigene Handschrift aus? Am Anfang wurde viel mit aus anderen Songs geklauten Samples gearbeitet – die Cut&Paste-Technik ist ebenso mit der Ninja-Tune-Geschichte verbunden wie der Begriff Bits´n´Pieces: Elektronische Sounds treffen auf Hip-Hop-Beats, Sprachfetzen aus Songs und Filmen auf zerhackte Melodien – und eine gewisse Art von Humor spielte genauso wie der Turntablism ein Rolle.
Vor 20 Jahren erschien das sehr experimentell – trotzdem zeichneten sich Ninja-Tune-Veröffentlichungen trotzdem durch eine gewisse Eingängigkeit aus – der Popfaktor wurde nicht vergessen. Bemerkenswert auch die Verbindung von Artwork und Design auf der einen Seite und der Musik auf der anderen, wie man sie zuvor von Jazz-Plattenlabel wie zum Beispiel Blue Note oder Impulse kannte: Ein klar erkennbares Logo – ein stilisierter Ninja-Kämpfer mit einer Schallplatte in der Hand, dazu ein von Streetart und ebenfalls von Copy-&-Paste-Ästhetik geprägtes Cover-Design.
Jonathan More und Matt Black hatten Ninja Tune nur aus einem einzigen Grund gegründet: Die beiden Coldcut-Musiker wollten ihre eigenen Stücke herausbringen, ohne dass ihnen jemand hineinredet. Schnell aber entwickelte sich das Label zur Anlaufstelle für andere Musiker – am Anfang vor allem für experimentellen, instrumentalen Hip-Hop. Nur ein paar Namen, die neben Coldcut bei Ninja Tune veröffentlicht haben: Amon Tobin, The Cinematic Orchestra, Kid Koala, Wagon Christ. Einer der erfolgreichsten Ninja-Tune-Artists der letzten Jahre: Der Londoner Roots Manuva.
Zum 20. Geburtstag ist jetzt eine umfangreiche Box erschienen, eine Box, die aus sechs CDs besteht, einem Buch, Aufklebern und Postern und sechs Vinyl-Singles. Auch wenn diese Singles anderes vermuten lassen: Ninja Tune sieht mit dieser Jubiläums-Kiste nicht so sehr in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft: Man sieht sich als Label, das noch Jahrzehnte existieren wird, das seinen ständig wachsenden Back-Katalog pflegt und das weiterhin für experimentelle Club- und Dance-Musik relevant bleiben will. Das spiegelt sich auch in der Zusammenstellung der sechs CDs wieder: Dort finden sich neben einer Reihe von schwer zu findenden Remixen bekannter Ninja-Tune-Songs vor allem neue und exklusive Tracks. Von Nostalgie ist allenfalls im umfangreich bebilderten Buch etwas zu merken. Aber auf den CDs geht es um Spielarten der elektronischen und der Hip-Hop-Musik, wie sie jetzt aktuell sind, um Kategorien wie Wonky, Dubstep und Grime, von Produzenten wie Zomby, Toddla T und Jaga Jazzist.
Eine Insider-Veranstaltung, wenn man so will, aber das war das Ninja-Tune-Label, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ja schon immer: Eine Art Treffpunkt von Musikverrückten für Musikverrückte, ein Label, das vorausahnte, was einmal wichtig werden sollte: Das Label als Marke mit einem unverwechselbaren und trotzdem extrem modernen Sound, Künstler, die über Ländergrenzen und Kontinente miteinander vernetzt sind und zusammenarbeiten – und Fans, die begierig darauf warten, was als nächstes auf sie zukommt. Ninja Tune XX – so wie römisch 20 - heißt die Box.