Sag niemals "Sie" zum DJ!

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Geht das: Älterwerden im Techno, ohne dabei lächerlich zu wirken? Auflegen bis ins hohe Alter? Und wie sehr ist Techno eigentlich noch eine Jugendbewegung? Ein Blick auf die erste Techno-Generation von Sven Väth über Westbam bis hin zu Tanith. Weitere DJs und Protagonisten, die hier noch auftauchen: Dr. Motte, Marusha, Daffy. Und Mamy Rock, die älteste im Bunde.
Weiße Haare, schwarze Sonnenbrille, Lederjacke und Trainingshose: Die Engländerin Mamy Rock ist 71 Jahre alt und seit kurzem ein neues Sternchen am DJ-Himmel. Eine deutsche Biermarke wirbt gerade mit ihr, ist ja auch ganz witzig, die Oma am Mischpult, davor das junge Publikum, das zu ihren Electrobeats tanzt. Der Gag funktioniert allerdings nur, weil Techno, die Musik und die Subkultur, die mit ihr einher geht, noch immer als Jugendbewegung gelten. Jugendbewegung? Die erste Loveparade fand vor 22 Jahren statt, die ersten Berliner Technoclubs öffneten Ende der 80er ihre Tore, wer damals feiern ging, ist heute 40 oder 50. So wie die erste Generation der DJs.
In Würde altern im Techno, geht das überhaupt? „Natürlich geht das“, sagt Thomas Andrezak, besser bekannt als „Tanith“. Anfang der 90er gehörte Tanith zu den bekanntesten DJs Deutschlands, Markenzeichen waren Militärklamotten im Tarnfarben-Muster und harter Techno, wie gemacht für den Keller der Club-Legende Tresor. Camouflage trägt der 48-Jährige schon lange nicht mehr, aber er legt nach wie vor seine Musik auf. Nicht mehr so oft wie zu seinen besten Zeiten, aber mehrmals im Monat: „Ständig ausgehen, die Nächte durchziehen, das geht nicht ewig. Mit 40 lässt die Ausdauer nach.“
In DJ-Kreisen auf der ganzen Welt gibt es ein geflügeltes Wort: Techno in Berlin, das ist wie Reggae auf Jamaika. In den nach wie zahlreichen Clubs spielt elektronische Musik die Hauptrolle, auch in den Geschäften und Kneipen und Bars läuft sie von früh bis spät, sie erschallt von Booten, die die Spree rauf und runter schippern, und tönt aus den Autos auf der Straße. Techno ist hier nicht Mainstream, aber auch nicht Underground, nicht Jugend-, sondern Alltagskultur. „In anderen Städten gibt es das nicht. Da gehst Du feiern, bis Du 25 bist, dann gründest Du eine Familie. Nur die Freaks machen das nicht. Die gehen nach Berlin“, sagt Tanith. Er war vorher in Wiesbaden.
Vor einigen Wochen beschäftigte sich die „Neon“, das mitunter als „Studenten-Bravo“ verspottete „Magazin für junge Leute“, mit Tanith. Und mit den anderen Protagonisten der ersten Techno-Generation, mit Westbam, Marusha und mit Dr. Motte. „Die Nacht ist alt“ war der Artikel überschrieben, der Zielgruppe gerecht schilderte man die Vier als leicht skurrile, ein wenig tragische Figuren, die einander alles andere als wohlgesonnen sind. Alle vier aber haben nach wie vor etwas mit der Musik zu tun, die sie bekannt und zum Teil auch reich gemacht hat. Marusha, die im Juni 45 Jahre alt wird, verlor zwar ihre Show beim Radiosender Fritz, als sich dort von den älteren Mitarbeitern verabschiedet wurde, dafür taucht sie mittlerweile immer wieder mal im Fernsehen auf, bei Sendungen wie Promi Dinner und Popstars oder als Loveparade-Expertin im ZDF. Und sie ist nach wie vor DJ.
Westbam, der schon früh erkannte, wie sich mit Techno viel Geld verdienen lässt, ist mittlerweile Familienvater. Er verbringt die Sommer auf Mallorca, wo er sich eine Finca gekauft haben soll. Zwischendurch kann man ihn auf großen Festivals erleben, in Russland, Polen oder Japan. Und auch auf Technoveranstaltungen, die an Oldies-Nächte für die „Rave Generation“ erinnern, den A&P Summer Rave auf dem Flughafen Tempelhof etwa. „A&P“, das ist die Billigmarke von Kaiser's. „Forward ever, backwards never!“, formulierte Westbam einst, aber daran hat er vermutlich schon damals nicht geglaubt.
Dr. Motte hatte ähnlich gute Sprüche drauf, „We Are One Family“ war einer davon. „Es mag für Einige nostalgisch oder weltfremd klingen, aber ich vertrete immer noch das Motto“, schreibt der 50-Jährige in seinem Blog, als Reaktion auf Überlegungen, die Loveparade wieder ins Leben zu rufen, reagiert. Motte lehnt solche Pläne ab. Noch, muss man wohl schreiben, der Vater der Loveparade sucht sich Themen, die ihn ins Gespräch bringen, er setzt sich ein gegen den Umbau der Kastanienallee, wo sein Büro sitzt, und für die Opfer der Loveparade-Katastrophe von Duisburg. Und als DJ, ist er da noch oft im Einsatz? „Geht ganz gut“, sagt er knapp. Hanfparade, Nature One, Street Parade, Clubs - fast jedes Wochenende ist die Praxis des Motte geöffnet.
„Manchmal ist es schon komisch, wenn Du nach dem Auflegen beim Veranstalter um Dein Geld betteln musst, weil nicht so viele Gäste da waren. Und der könnte dann Dein Sohn sein“, sagt Tanith. Auch das Publikum ist nicht überall mitgealtert, früher habe er „eine halbe Stunde mit Händeschütteln verbracht“, jetzt könne er froh sein, wenn er fünf Leute im Club kenne.
Gibt es also doch ein „zu alt“ im Techno? Der Berliner Gabriel Baltrock, seit 1993 unter dem DJ-Namen Daffy unterwegs, ist sich nicht sicher: „Wenn Du auflegst, dann eigentlich nicht, dann bist du Teil der Party." Aber wenn Gäste anfangen, den DJ zu siezen, dann mache man sich schon seine Gedanken. Daffy ist 37. Seine Definition von „zu alt“: Wenn man im Plattenladen steht und einem die Namen auf den Platten allesamt nichts mehr sagen. Davon ist er meilenweit entfernt. Aber auch er macht sich Gedanken, die er sich früher nicht machte. Wie ungesund das Feierleben doch ist, zum Beispiel. Und warum die Gigs nicht mehr so reichlich hereinkämen wie früher. Auch das eine Folge des Alterns, aber eine indirekte: „Man muss ständig in den Clubs präsent sein. Den Veranstaltern zeigen: Mich gibt es noch!“ Aber irgendwann wolle man einfach nicht mehr jedes Wochenende losziehen.
Vieles, was zur Zeit an Jubiläen im Techno begangen wird, hat mit der Zahl 20 zu tun. 20 Jahre Tresor. 20 Jahre Großveranstaltung Mayday. Nicht aber bei Sven Väth: Der Frankfurter DJ und Produzent feiert die 30: So viele Jahre ist er jetzt DJ. Als 16-jähriger begann er im Irish Pub seiner Mutter, mittlerweile hat er sich ein kleines Imperium aufgebaut: Eine Booking-Agentur, die DJs in alle Welt vermittelt - ihn als das größte Zugpferd natürlich auch -, ein Plattenlabel, ein millionenschwerer, schicker Club in Frankfurt am Main. Großverdiener ist Väth und ein großer Feierer. Deshalb klingelt es nicht nur in der Kasse, sondern auch im Ohr: Sven Väth hat Tinitus. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung - auf der Wirtschaftseite! - ging es auch um die Frage, wie der 46-Jährige sich fit hält. Die Antwort: Sport mit dem Personal Trainer, Sauna, Massagen, einmal im Jahr, nach dem feierintensiven Sommer, wird zwei Wochen lang Ayurveda gemacht. Und drei Monate lang kein Alkohol getrunken, kein Fleisch gegessen.
Schon vor einigen Jahren traf der für seine respektlosen Kolumnen bekannte Schweizer Journalist Mark von Huisseling Väth zum Interview. „Sven Väth ist der wohl reichste Discjockey Europas. Und vierzig. Ist das noch cool? Oder bereits ein wenig traurig?“, schrieb Huisseling Die Antwort blieben beide schuldig. Nicht aber die auf die Frage "Werden Sie den Beweis antreten, dass man auch mit sechzig noch als DJ cool und authentisch sein kann?“ „Wenn's so ist, wird's so sein“, antwortete Väth. 2024 wäre das. Mamy Rock, die DJ-Oma aus England, wäre dann schon 84.