Strom in der Philharmonie

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Als 1963 die Philharmonie in Berlin eröffnet wurde, erklang Beethovens Neunte. Warum auch nicht? Die Philharmonie war schließlich als ein Tempel der Klassik konzipiert worden, ein Bau mit tollen akustischen Ideen. Aber wir schreiben ja mittlerweile 2020 und die Philharmonie hat sich auch für andere Dinge geöffnet. Jetzt am 8. und 9. Februar zum Beispiel für das „Strom“-Festival. Elektronische Musik, elektronische Clubmusik in dem von Hans Scharoun entworfenen ikonischen Bau! Passt das? Techno an diesem Ort? Ja, das passt zusammen. Im Großen Saal der Philharmonie waren an den beiden Abenden jeweils zwei verschiedene Acts zu erleben: Höhepunkt am Samstag der Japaner Ryoji Ikeda. Ist in bestimmten Kreisen eine Legende, so eine Art digitaler Hardcore ist da auf uns eingeprasselt, Beats und digitale Störgeräusche in maschinengewehrartigem Stakkato. Dazu genauso krasse Videoeinspielungen, Visuals, die in gleicher Geschwindigkeit aufblitzten. Das war schon toll, aber natürlich auch anstrengend. Ganz anders dagegen der Freitag: erst gab es ziemlich interessantes abstrakte elektronische Musik vom Strom-Festival-Kurator selbst, von Stefan Goldmann. Und dann kamen Kruder & Dorfmeister. Die Älteren werden sich erinnern: Downbeat-Helden der 90er-Jahre!
Es wurde aber gar nicht so ruhig und chillig, wie erwartet. Das war nämlich die eigentliche Überraschung: Angekündigt war eine Art Ambient-Session, also tatsächlich, ruhiges, meditatives, Chill-Out-mäßiges. Aber Kruder und Dorfmeister, diese beiden Österreicher, Meister des Downbeats, haben ziemlich laut Tanzbares gespielt. Und dann hat wirklich die halbe Philharmonie auf den Rängen und vor der Bühne getanzt. Damit hat glaube ich, niemand gerechnet. Es ist wohl so, dass die Philharmonie sich neu erfinden will und sich dafür, wie ja so viele andere Hochkultur-Institutionen auch, öffnet. Ich habe mit Stefan Goldmann, dem Kurator, über sein Festival gesprochen. Berlin ist ja die Hauptstadt der elektronischen Musik, unglaublich viele DJs und Musiker leben hier, viele Clubs existieren. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Konzertsäle für die Hochkultur. Und diese beiden Welten will das Strom-Festival zusammenführen. Stefan Goldmann: „Was es noch sehr selten gibt in dieser Stadt ist, die Konzertsäle tatsächlich den Künstlern zur Verfügung zu stellen, die elektronische Musik machen. Also wenn man etwas nicht Tanzbares hat, dann ist es in so einer Art Mehrzweckhalle, also wo alles Mögliche stattfinden kann, also was so ein Ort ist, der selbst nichts besagt, finde ich oft. Es gibt immer besondere Dinge, in einem Planetarium oder Kino, aber in einem Saal, der nur fürs Hören gebaut ist – und davon hat ja die Stadt durchaus ein paar sehr schöne, unter anderem den hier in diesem tollen Bau von Herrn Scharoun, dass das bisher noch gar nicht genutzt wurde, ist eigentlich ein Wunder.“
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Das Publikum kam eher aus der Clubszene. Das hatte möglicherweise auch einen ganz praktischen Hintergrund: Die Karten gingen ziemlich schnell weg, als das Ganze im Netz bekannt gemacht wurde. Und als die ersten Plakate hingen, die eher älteren Philharmonie-Fans davon mitbekamen, gab es schon kaum noch Plätze. Schade eigentlich, denn was diese Musik in dieser tollen Akustik für eine Kraft und Brillanz erlebt hat, das hätte, glaube ich, auch eher klassikaffine Menschen erreichen können.

Es gibt ja in Berlin zwei große Festivals, die sich der elektronischen Musik widmen, das CTM und das Atonal-Festival. Frage ist natürlich, ob das Strom-Festival da jetzt ein neuer Konkurrent ist. Scheint aber – noch – nicht so zu sein. Und "Strom" will das wohl auch gar nicht sein. Das ist ja relativ klein gewesen, vier Hauptacts im großen Saal der Philharmonie, dann noch ein paar DJs im Foyer. Aber: der Ort ist super, das ist eben kein Club, auch keine Betonhalle, kein ehemaliges Kraftwerk, kein Industriebau, wie sie ja so oft mit Techno verbandelt sind.
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Außerdem war das jetzt anders als beim CTM oder beim Atonal weniger ein Festival, das Neues präsentieren will, es ging eher darum, Musiker zu zeigen, die schon lange Teil der Szene sind, aber sich da auch wegbegwegt haben, wie mir Kurator Stefan Goldmann erzählt hat: "Christian Vogel wäre das Paradebeispiel von jemanden, der mit Techno angefangen hat, und sich da so weit rausentwickelt hat, aber aus diesem Hintergrund und diesen Mitteln herkommt. dass er jetzt in so einem typischen Clubkontext gar nicht mehr stattfinden will, also das ist nicht mehr seins. Er möchte Kunst machen, er möchte Musik machen, die sich in andere Kontexten bewegt und so etwas ist natürlich eine Steilvorlage für dieses Festival, das ist dann zum Beispiel für CTM und Atonal nicht mehr so interessant, glaube ich.“