Top-10 in Deutschland ... ein Trauerspiel

Flower
Der Blick aufs Foto beweist: in Deutschland herrscht ein gnadenloser Kampf. Hip Hop spielt eine Rolle, Schlager, Poppunk und Deutschrock auch. Also los, dahin, wo es weh tut, hin zum Blick auf die meistverkauften Alben dieser Woche. Los geht es mit einer englischen Band, die ihre Todesverachtung ( oder –verehrung?) schon im Namen trägt.
Auf Platz 10: Carcass mit Surgical Steel. 17 Jahre ließ diese englische Death-Metal-Grindcoreband, deren Name sich mit „Tierkadaver“ übersetzen lässt, nichts von sich hören. 17 Jahre, in denen sich offenbar einiges aufgestaut hat. Vielleicht täuscht der Eindruck, aber Carcass scheinen weicher. Verletzlicher :-).
Apropos verletzlich, jetzt aber wirklich: Platz 9: Jack Johnson mit seinem neuen Album From Here To Now To You. Schwer, dem tiefenentspannten Surfer Johnson dafür böse zu sein, aber alles auf dieser Platte steht still. Er will es ja auch gar nicht anders, dieser Hawaiianer, für den Begriffe wie „experimentell“ oder „aufregend“ Schimpfwörter sein dürften.
Platz 8: Fler präsentiert: Maskulin Mixtape Vol. 3. Maskulin, so heißt das Plattenlabel, das der Berliner Rapper Fler vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat. Auf diesem Mixtape sind er und seine Labelkollegen Jihad, Animus und Silla zu hören. Die Musik ist toll, wirklich gut produziert. Die Texte reichen von Lobeshymnen aufs Bodybuilding bis hin zum echten Liebessong. Schräge Mischung.
Platz 7: Schiller mit Opus. Die elektronische Musik ist so ziemlich der einzige Ort im Popbusiness, bei dem Deutsche auf Augenhöhe mit dem internationalen Rest produzieren. Anders ausgedrückt: Es gibt bei uns sehr viel gute, interessante und spannende elektronische Klänge. Seltsam, dass sich dennoch so viele auf den esoterischen Schiller einigen können, der weder gute noch interessante noch spannende Musik macht.
Und noch einmal deutscher Hip Hop: SSIO auf Platz 6 mit seinem Album „B.B.U.M.SS.N“. Die Zutaten auf der neuen Platte dieses Bonner Rappers sind altbekannt: Sex, Drogen, Straße. Aber der Typ ist wirklich witzig und rappt nicht nur atemberaubend schnell, sondern auch mit Timing und Gefühl. Was die Platte, die auf Pornomomente nicht verzichtet, nicht nur erträglich, sondern gut macht, ist die Kombination aus Ironie und Checker-mäßiger Produktion.
Platz 5: Avicii: True. Es hat sich rumgesprochen: Ordentlich Wumms auf Popsongs packen, dann klappt’s auch mit den Fans, den Charts, der Karriere. Der gerade 24 gewordene Schwede Tim Bergling alias Avicii packt also ordentlich Wumms auf alle seine Songs. Irgendwie wirkt das billig. Andererseits zwingt einen ja niemand, diese von Dr. Frankenstein aus eigentlich nicht zusammen passenden Stilen zusammengesetzten Mutationen zu hören oder gar zu kaufen.
Und damit ab zu Platz 4: Niedecken: Zosame alt. Liebeslieder für die Frau. Aufgenommen in den USA, genauer gesagt: In Woodstock. So als Akustikversionen. Der Kölner Dialekt ist noch deutlicher zu hören. Und stößt mich noch mehr ab. Nicht, weil Kölner so furchtbar sind, sondern weil es die Musik so bräsig macht.
Platz 3: Placebo: Loud Like Love. Im Plattenladen bei mir um die Ecke hat das Fach von Brian Molko und Co einen Zusatz: Placebo – Klammer auf – 90s Band – Klammer zu. Damit wäre alles gesag.
Platz 2: Andrea Berg: Atlantis. Doris Day hat mal gesagt, Fans müssten Songtexte nicht verstehen, sondern sie müssten sie fühlen. Bei Andrea Berg ist es andersherum: Jeder versteht ihre Texte, so einfach sind die. Zu fühlen gibt es dafür nichts - wer anderer Meinung ist, ist dieser Emotions-Scharlatanin auf den Leim gegangen.
Platz 1: Live – Die Nacht der Dämonen von Die Ärzte. Fast fünfzig Live-Songs haut die beste Band der Welt aus Berlin raus. Inklusive echt witziger Ansagen und viel Stimmung. Damit stößt sie die alles beherrschende Andrea Berg einfach so von Platz Eins weg. Guter Zeitpunkt, um sich noch mal zu erinnern: Auch dafür wurde der Punk einmal erfunden. Egal, ob die Ärzte noch Punkrock sind oder ob nicht.