Schön, aber sinnlos: Hot Chips "Why Make Sense?"

Flower
Die englische Band Hot Chip veröffentlicht ihr sechstes Album. Das Ergebnis? Gut. Wie immer. Aber schön der Reihe nach! Also: Als überzeugter Hot-Chip-Fan musste man langsam unruhig werden. 2014 ging zu Ende und weit und breit kein neues Album der Indie-Electro-Popper in Sicht. Das konnte nichts Gutes bedeuten, oder? Denn wenn auf etwas Verlass war, dann doch auf den Zwei-Jahres-Rhythmus der englischen Ausnahmeband. Wie eine sauber arbeitende Maschine spuckten die Musiker um Alexis Taylor und Joe Goddard 2004, 2006, 2008, 2010 und 2012 neue und ziemlich gute Platten aus.
Entwarnung: Es hat dieses Mal zwar ein bisschen länger gedauert als sonst, aber jetzt ist„Why Make Sense?“, das neue Hot-Chip-Werk, da. Und die Verschiebung des Veröffentlichungszeitpunkts ist die einzige Verschiebung, die stattgefunden hat. Hot Chip klingen wie immer.
Die Band, ohnehin nie besonders ambitioniert, wenn es um das Verkaufen der eigenen Musik geht, sieht das übrigens genauso. Joe Goddard, bei Hot Chip vor allem für den Sound und die Beats zuständig, war vor kurzem in Berlin und sprach im Büro der Plattenfirma Domino über die neuen Songs und zwar „brutally honest“, also mit brutalstmöglicher Ehrlichkeit: „Die neue Platte ist nicht sonderlich anders als unsere anderen. Wir pflegen immer noch unsere Liebesbeziehung zu Soul und Funk und Hip Hop und House und Disco. Die Songs sind vielleicht ein bisschen langsamer und ein bisschen aufgeräumter, damit Alexis’ Stimme besser zur Geltung kommt. Aber das sind dezente Unterschiede.“
15 Jahre lang existieren Hot Chip jetzt bereits. Die beiden Hauptakteure kennen sich noch aus Schulzeiten, der eine war damals glühender Prince-Verehrer, der andere begeisterte sich für Hip Hop. Nicht unbedingt ungewöhnlich für zwei weiße britische Mittelklasse-Jungs, aber auch nicht die besten Voraussetzungen, um selbst erfolgreich Musik zu machen, die sich an diesen Vorbildern abarbeitete. Denn, mal ehrlich, zwei weiße Mittelklasse-Jungs, die einen auf Prince machen? Das kann doch eigentlich nur daneben gehen. Ging es aber nicht, schuld daran war auch ein bisschen der Zeitgeist. Musiker, die Indie und soften Gesang, Electro und Prince, Beats und Beatles unter einen Hut bringen konnten bzw. in Songs vereinen konnten, lösten auf einmal Bewunderung aus. Noch dazu, wenn sie jung waren, seltsame bunte Pullover trugen, sich mit übergroßen Hornbrillen schminkten und wussten, wie man einen guten Song hinbekommt. Hot Chip galten schnell als Hipster-Band, clever, ironisch, nicht ausrechenbar, immer für eine Sound-Überraschung gut. Aber eben auch melodisch, charmant und eingängig.
Jetzt sieht das alles ein bisschen anders aus. Die Musiker sind mittlerweile Mitte 30 und lösen keinen Hype mehr aus, sondern Respekt, ein bisschen wie Helmut Schmidt muss man sich das wohl vorstellen, „elder statesmen of the indie-disco scene“ jedenfalls hieß es schon mal in ihrer englischen Heimat. Die entscheidende Frage ist wohl, wie lange eine Band mit so viel Stillstand eigentlich durchkommt? Vermutlich noch eine ganze Weile, denn das, was Hot Chip mit den immer gleichen Mitteln zustande bringen, spielt nach wie vor in einer eigenen Liga und klingt gleichzeitig vertraut und frisch. Unverkennbar Hot Chip, widmet sich „Why Make Sense?“ den Sehnsüchten und Ängsten des modernen (Stadt-)Menschen. Der Song „Huarache Lights“ dreht sich um rauschende Feiernächte, „Need You Now“ ist eine wunderbare House-Hymne mit verzweifeltem Unterton, überhaupt dreht sich fast alles um Liebe, Gefühle, Erfüllung und Enttäuschung. Wichtig sei, sagt Joe Goddard, dass das in die richtigen Sounds verpackt werde: „Jeder Ton soll sich so aufregend wie möglich anhören, die Bedeutung des Songs soll erkennbar werden, die Stimmen sollen sich mächtig und präsent anhören. Wir arbeiten schnell, damit der Song lebendig bleibt und nicht überproduziert wird.“ Die Texte stammen fast alle von Alexis Taylor, er schreibt sie zu jeder sich bietenden Gelegenheit in sein Smartphone, als würde er Gedichte schreiben, die dann zu Songtexten werden können. „Das sind Songs über die Menschen, die man liebt“, sagt Joe Goddard.
Das klingt ziemlich vernünftig und widerspricht damit natürlich dem Titel der neuen Platte, gibt Joe Goddard zu: „Why make sense? Warum muss das, was wir machen, überhaupt einen Sinn ergeben?, haben wir uns gefragt. Eine Trotzreaktion war das, auf all die Kommentare, die es neben dem Hype auch gab, die uns vorwarfen, dass das nicht funktioniert, wenn weiße Jungs, Nerds noch dazu, zu sehr in schwarze Musik verliebt sind.“
Diese anhaltende Liebe sorgt nach wie vor für schöne und überraschende Momente. Im Song „Love Is The Future“, der sich über viereinhalb Minuten zu einer gloriosen Liebesbekundung entwickelt, gibt es zum Beispiel einen sehr nach 90er-Jahre klingenden Teil. In der Mitte des Songs setzt Gastrapper Posdnuos (von De La Soul) ziemlich unvermittelt mit seinem Sprechgesang ein und lässt Erinnerungen an längst vergangene Zeiten hochkommen – ein Retro-Moment, den Hot Chip früher mit ziemlicher Sicherheit vermieden hätten.
„Why Make Sense?“ hat noch eine andere Besonderheit zu bieten: das Cover der CD und auch der Vinylausgabe wird durch eine besondere Drucktechnik in über 500 verschiedenen Farbvarianten und mit jeweils leicht abgewandeltem Design veröffentlicht. Einzelstücke, wenn man so will, für eine Welt, die sich mehr und mehr von festen Tonträgern abwendet. Erwarten das die Fans? Joe Goddard ist sich nicht so sicher. Es sei ja ohnehin so eine Sache mit den Erwartungen des Publikums. Natürlich mache man sich Gedanken, in welche Richtung man mit neuen Songs gehen wolle und ob das ankommen könnte. Aber in erster Linie gehe es ja darum, Beats und Melodien und Worte zu finden, die einen selbst als Musiker begeistern würden. Genau so hätten sich Hot Chip ihren Platz erobert. Es gehe deshalb nicht um Revolution, sondern um sanfte Evolution des bandeignen Sounds.
So gesehen, macht „Why Make Sense?“ jede Menge Sinn: Die Band hat ihren Sound schon lange gefunden, aber feilt weiterhin an glänzenden Songs. Das hält alles am Laufen. Joe Goddard jedenfalls kann sich nicht vorstellen, dass in absehbarer Zeit alles zu Ende gehen wird: „Wir suchen weiter nach dem perfekten Song, denn so ein Popmoment ist etwas wunderbares. Die Synthesizer müssen funky klingen und grooven, die Texte müssen intelligent sein, etwas aussagen, ehrlich und leidenschaftlich sein. Aus all diese verschiedenen Elemente schnüren wir, so wie die Beach Boys es vorgemacht haben, ein packendes und aufregendes Paket.“ Und dann sagt er ganz am Schluss des Interviews, als es eigentlich schon vorbei ist: „So lange uns die Leute hören wollen, so lange machen wir weiter.“ Klingt sinnvoll.