Ein blauer galaktischer Sturm namens Pilocka

Pilocka_Krach
Das Internet vergisst nur selten: vor Jahren tritt Pilocka Krach in Halle an der Saale auf, auf dem Kopf eine pinkfarbene Perücke, Sonnenbrille, krachig und verzerrt performt sie ihre Version des NDW-Hits „Eisbaer“. Nur eine Handvoll Menschen war damals live dabei, aber einer von ihnen hatte eine Kamera mit: Youtube lässt grüßen. Das Video des Auftritts aber führt in die Irre. Pilocka Krach ist nämlich mittlerweile eine ganz andere. Nicht albern, nicht improvisierend, nicht nachahmend, sondern eine der interessantesten Musikerinnen, die die elektronische Musik aus Berlin derzeit zu bieten hat.

Der Beweis kommt am 28. April, wenn Pilocka Krach auf ihrem eigenen Label ein Konzeptalbum veröffentlicht: Sugar Cane & The Lost Amigos, 17 Songs auf zwei Vinylplatten oder 10 (plus Intro und Outro) auf CD. Ein wilder Ritt, mit dem sie zeigt, wie unterschiedlich Musik aus Berlin klingen kann.
Pilocka Krach heißt mit bürgerlichem Namen natürlich nicht Pilocka Krach. Aber noch eine Katarina, „natürlich ohne h, wie im Osten üblich“, braucht die Welt dann doch nicht. Pilocka ist schließlich ziemlich einmalig und daran sind die Eltern nicht ganz unschuldig. Ende der 70er wird sie in Berlin-Köpenick geboren, in Mitte wächst sie auf, als Tochter eines Mathematiker- und Informatikerpaars. Noch zu DDR-Zeiten programmiert die Mutter für ihre Kinder simple Jump-and-Run-Spiele. „Das sind süße Nerds, die mich anti-autoritär erzogen haben“, sagt Pilocka Krach, „sie haben mich zur Lebenskünstlerin gemacht.“ Zum Interview ist die jetzt in Prenzlauer Berg wohnende Musikerin in einer Art Streifenanzug gekommen, auf dem Kopf ein dunkler Hut. So sehen Zirkusleute aus, Jongleure, die an der Straßenecke ein paar Euros mit ihren Kunststücken verdienen wollen.

So weit weg ist das nicht von der Welt der Pilocka Krach. Letztes Jahr zum Beispiel brach sie sich den Arm, konnte also eine Weile nicht auftreten, verdiente kein Geld, ging aber mit einem Künstlerstipendium des Berliner Musicboards nach Detroit. Dort freundete sie sich dort mit dem harten Techno-Kollektiv Underground Resistance an – „sie nennen mich jetzt ihr Underground Resistance Babe“ – und verbrachte dann vier Monate in Mexiko, wo sie für Umweltschützer Musik produzierte, die diese Musik in Videos über Korallenschwund verwendeten und für die sie im Gegenzug Kost und Logis bekam. Dort erzählte ihr auch jemand vom Kalender der Maya und was ihr Geburtstag bedeute: „Ich bin der blaue galaktische Sturm! Sturm bringt Veränderung, es gibt aber auch die Ruhe vor dem Sturm. Sturm scheucht die Leute auf!“

Eine Lebenskünstlerin wie ein Sturm, die, wie es sich gehört, sehr offen, sehr gut gelaunt und in den richtigen Momenten voller Energie durch die Welt geht und fegt: „Ich will so viele Leute wie möglich erreichen und meine Auffassung vom Leben musikalisch verbreiten und damit die Welt erobern. Ich habe einen sehr freien Geist und mag es gar nicht, wenn man in Schubladen denkt. Das ist bescheuert.“ Das hört man dann auch ihrer Musik an. Die Songs zu Sugar Cane & The Lost Amigos sind in Berlin, Detroit und Mexiko entstanden, gerade auf der umfangreicheren Vinylausgabe wird deutlich, was für ein Spektrum sie da abbildet, von luftig-nachdenklich bis hin zu pumpend-euphorisch. Am Anfang der Platte ist Sugar Cane – ihr Alter Ego! – ziemlich am Ende und spielt gegen den Tod Karten. Später kommen die Freunde – Los Amigos – und holen Sugar Cane ins Leben zurück.

Inszeniert ist das Ganze mit viel Spaß an Tönen und Geräuschen. Immer wieder tauchen interessante Stimmen auf, englisch- und spanischsprachig sind die Songs. Vor allem aber kriegt Pilocka Krach das Zusammenspiel von heftigen Basslinien und Melodien hin. Das hat mit der behaglichen Deep- und Tech-House-Langeweile, wie sie auf Nummer sicher gehende Produzenten seit Jahrzehnten pflegen, nicht viel gemein. Techno, so hat es der Detroiter Produzent Derrick May mal formuliert, das ist, als wenn George Clinton und Kraftwerk im Fahrstuhl stecken geblieben wären. Der Techno von Pilocka Krach klingt eher so, als hätten Prince und Technotronic gemeinsam in der legendären, längst geschlossenen Bar 25 geschaukelt und Sven Väth mit seiner „Gudden Laune“ dabei zugesehen. Beats und Funk und Groove und Bass machen ihre Musik aus – und Humor: „Ich habe Spaß beim Musikmachen. Ich kann mit schlechter Laune ins Studio gehen und mache Musik und danach bin ich super drauf. Humor ist wichtig, aber ich mache mich nicht lustig über andere, es geht um den Spaß am Musikmachen!“

Vor zwei Jahren hatte Pilocka Krach mit ihrem Debütalbum schon angedeutet, wohin die Reise geht, Titel: „Best of“. Das war nur halb als Witz gemeint, denn darauf fanden sich zum Teil wirklich bereits veröffentlichte Tracks. Auch das Coverbild lud ein zum fröhlichen Missverständnis ein, zu sehen waren ein halbdurchsichtiger Slip, darunter zwei Hände und dunkle Schamhaare. Ihre? Vermutlich. Aber wichtiger war die Musik, die lebendig, wild und irgendwie anders klang, nicht nach Lebensversicherung, Frühverrentung, Eigentumswohnung, sondern nach Freiheitsliebe und Abenteuerlust. Diese Gefühle sind geblieben, aber die gelernte Filmvorführerin ist musikalischer geworden: „Ich will, dass meine Songs mich und die Hörer berühren. Der Unterhaltungsfaktor war für mich immer wichtig und er ist nach wie vor hoch, aber ich bin jetzt in Gebiete vorgedrungen, die ich vorher nicht gemacht habe – weil ich dachte, das machen andere schon. Oder es passt nicht in den Club.“

Pilocka Krach will Sugar Cane & The Amigos wie eine Art Theaterstück inszenieren und damit auf Tour gehen. Erst einmal aber stehen im Sommer jede Menge Festivalgigs an, eine professionelle Bookingagentur hat ihr viele Auftritte organisiert, unter anderem bei Rock am Ring und Rock im Park, beim Sputnik Spring Break und dem Sonne Mond Sterne Festival. Mitbringen wird sie ihrem Instrumentenpark und dann, ganz ohne pinkfarbene Perücke, ihren Soundtrack gegen Lethargie und Langeweile starten. Obwohl ... vielleicht holt sie die Perücke ja auch wieder einmal raus, wenn sie Lust hat. Zuzutrauen ist diesem „blauen galaktischen Sturm“ alles.