SXSW-Diary Tag 2: Beichte

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Die „normale“ Aufstehzeit hier in Austin, als Teil der South-by-Southwest-Festival-Maschinerie? Irgendwas zwischen 6 Uhr 30 und 7 Uhr 42. Zeitverschiebung eben, wenn auch nicht unbedingt Rock’n’Roll. Aber gar nicht schlecht, um den Tag zu planen. Und dieser zweite SXSW-Tag wollte gut geplant sein, bei 2000 Bands, unter den man zu wählen hat, will man sich schließlich wirklich die besten raussuchen. Wobei klar ist: So was wie „die besten“ gibt es gar nicht. Sonst wäre nicht überall in Austin etwas los, sondern nur an einer Stelle. Hier jedenfalls ein paar weitere Geschichten, von denen die lustigste mit schwulen Bären zu tun hat. Die anderen dagegen eher mit Brooklyn, New York.
Also: Aufgestanden war ich ja bereits. Kaffee und Frühstück müssen hier vielleicht keine Rolle spielen (sind aber nicht so schlecht, wie man beim Stichwort „Texas“ denken könnte). Als fleißiger Musikjournalist, der sich zwar hauptsächlich, aber eben nicht nur für elektronische Musik interessiert, folgten zwei Panel-Diskussionen, die vom Titel her ganz spannend klangen: „Online Music’s Tastemakers“ und „From the Blocks to the Blogs“. So spannend waren sie dann aber doch nicht. In einem der Sache sicherlich nicht hundertprozentig angemessenem Satz zusammengefasst: Schwarze Kids sind mittlerweile auch alle Online, weil sie X-Boxen und Web-fähige Handys haben und Musikjournalisten lügen manchmal, um es sich mit Musikern und der Musikindustrie nicht zu verderben.
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Kommen wir endlich zur Musik: Wie gesagt, 2000 Bands treten hier auf der SXSW in nur wenigen Tagen auf. Sehr cool ist deshalb ein so genanntes „Speed Set“: Sechs Bands in einer Stunde, jede tritt zwischen sechs und neun Minuten auf. Beim „Australian Speed Set“ sind mir vor allem zwei Bands bzw. Musiker aufgefallen: Der mit einer heißen Stimme gesegnete Chet Faker (ebenfalls heiß, dieser Künstlername!) und die Voltaire Twins. Chet Faker mischt seine Stimme eigentlich mit viel Elektronik, aber auch ganz alleine am Klavier funktioniert alles. Sehr empfehlenswert seine Version von Blackstreets „No Diggity“.



Die Voltaire Twins heißen nicht umsonst so ähnlich wie die Cocteau Twins, sind aber sehr viel weniger traurig und verträumt. Sie sind cool, auch wenn mir sein Pullover beinahe Augenkrebs verursacht hat. Ihre weißblonden Haare konnten das aber wieder wettmachen.
Der Abend gehörte dann erst einmal zwei Bands aus Brooklyn, New York. Das scheint nach wie vor ein Qualitätsmerkmal zu sein, denn es wird im Programmheft genau so aufgeschrieben: Brooklyn, New York. Dort kommen die Caged Animals her. Zwei Frauen und drei Männer, zum Teil miteinander verwandt. Schade, dass der Sänger ein wenig wie Harpo Marx aussieht und sein Gesicht beim Singen seltsame Ausdrücke durchdekliniert. Der folkige Indie-Pop hat nämlich was.



Ebenfalls aus Brooklyn, New York: Dana Buoy. Wie man oben auf dem Foto sehen kann, ein Duo, das abwechselnd mit Gitarre und Bass oder mit Keyboard spielt und deshalb nicht wie eine, sondern wie zwei Bands klingt, die sich ständig ablösen: Gitarren-Indie-Pop oder eher housige, angedancte Klänge. Selten, aber gut. Konnten einem trotzdem leid tun, weil sie erstens in einem Club („The Stage on 6th Street“) auftraten, der eher Country-Publikum anzieht und deshalb, siehe noch einmal obiges Foto, die schlimmsten Country-Musiker, die die Welt so kennt, im Rücken hatten. Außerdem dachten sie, sie könnten länger spielen als sie durften. Und da ist man rigoros in Austin: Dana Buoy wurde der Saft abgedreht, als sie gerade noch mal ansetzen wollten.
Die australische Band (oder ist es doch der Name der Sängerin?) Emma Louise, die danach spielte(n), vermasselten sich ihren Auftritt aber noch viel mehr. Sie dachten nämlich, sie hätten laaaange Zeit für den Soundcheck. Hatten sie aber nicht, die 20 Minuten, die sie brauchten, um einigermaßen die Feedback-Probleme abzubauen, gingen von der Gesamtzeit ab. So hörte man zwar mindestens drei Mal ihr bestes Lied, aber kriegte auch mit, dass die blonde Sängerin eine wirklich sehr leise Stimme hat. Deshalb auch die Feedback-Probleme. Wie es sonst klang? So, als würden Emma Louise die ganze Zeit nur Azure Ray, Maria Taylor oder Orenda Fink hören.



Aber kommen wir endlich zu den schwulen Bären. Eine der vielen ClubBarKonzerthallen während der SXSW ist „The Iron Bear“. Offenbar eigentlich eine Schwulen-Bar und zwar eine für Bärchen-Männer (ihr wisst schon: dick-muskulös, behaart und bebartet, meist mit Glatze und meist sehr nett). Im Iron Bear jedenfalls trat spät in der Nacht die Berliner Band Bonaparte auf. Bonaparte sind ja eigentlich mehr als nur eine Band, fast schon eine Art Indie-Electro-Rock-Zirkus. Auch hier, obwohl die Bühne für die acht kostümierten Musiker und Tänzer eigentlich zu klein war. Jedenfalls sehr skurril, diese Mischung aus Zirkus-Atmosphäre, neugierigen SXSW-Besuchern, Tanzbären und angetrunkenen Berliner Musikjournalisten („Wodka Cranberry: 4$“).