Klassik im Remix - arm oder warm?

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Schon seit geraumer Zeit versucht die Klassik, neue Fans zu gewinnen, neue Käuferschichten zu erschließen. Sie tut das, indem sie ihre Stars anders vermarktet, aber auch, indem sie sich öffnet. Klassische Orchester arbeiten mit Popmusikern zusammen oder spielen, wie etwa die Londoner Philharmoniker, die Titelmelodien von Computerspielen nach.
Das Deutsche Symphonie Orchester (DSO) geht subtiler an die Sache heran: Teile der 4. Sinfonie von Anton Bruckner wurden von den Musikern neu eingespielt, ins Netz gestellt und zur weiteren Bearbeitung freigegeben. „Romantic Revolution – Bruckner Unlimited“, so der Titel des Remix-Wettbewerbs für Laptop-Künstler. Was soll ich sagen … ich war bei der Preisverleihung dabei.
Als Anton Bruckners 4. Sinfonie 1881 in Wien uraufgeführt wurde, gab es noch nicht einmal das Wort „Remix“. Wozu auch? Die Kulturtechnik, bereits vorhandene Musikstücke auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen, brauchte ja noch fast ein Jahrhundert, um sich zu etablieren. Mittlerweile ist der Remix aus der Popmusik nicht mehr wegzudenken. Und auch die Klassik, so wie jetzt das Deutsche Symphonie Orchester, hat Gefallen daran gefunden, ihre altbekannten Werke von Produzenten vor allem aus der Electronic- und Clubszene neu interpretieren zu lassen. 35.000 Menschen haben sich die vom DSO bereitgestellten Tonschnipsel aus Bruckners 4. Sinfonie heruntergeladen, rund 130 von ihnen konnten etwas damit anfangen und beteiligten sich am Wettbewerb „Romantic Revolution“. Julian Weber ist Musikredakteur bei der taz, und war Teil der Jury von Romantic Revolution, neben dem Musiker Henrik Schwarz, dem Dirigenten Risto Joost, der Sängerin Farao. Man hörte sich durch etliche Werke, die mal mehr, mal weniger nah am Original dran waren und mal mehr, mal weniger die romantische Grundstimmung aufnahmen.„Ich finde, die Technik des Remixes ist ne ganz tolle Kunstform. Und ich finde auch, dass es spannend ist, klassische Musik nicht zu behandeln mit Ehrfurcht vor dem Werkcharakter oder der möglichst authentischen Aufführungspraxis, sondern mit ganz anderen modernen Mitteln. Der Zweitplatzierte zum Beispiel, das ist Lambert Windges. Da hat mir eben gefallen, dass er einen Beat dazu gemacht hat, einen sehr spannenden Beat, eine Art Hip-Hop-Beat oder Breakbeat. Wenn man das Original kennt, liegt das erst einmal nicht nahe. Ich hatte das Gefühl, er ist total respektlos da rangegangen. Es war ihm wirklich egal, ob es jetzt um den Wald geht, sondern er hat versucht: er nimmt sich eine Fläche, eine Meldodie, jagt es durch Effekte, verhackstückt das. Und der Beat war sein eigener Gedanke. Ein sehr freier Umgang mit der Ausgangsquelle.“ Lambert Windges ist erst 21, er hat Schlagzeug und Klavier gelernt, das ist auch seine Verbindung zur Klassik. Vor allem aber interessiert er sich für elektronische Musik. An seinem Computer durchforstete er die vom DSO zur Verfügung gestellten Soundstücke – anders als bei herkömmlichen Klassik-Remix-Projekten wurde nicht einfach ein bestehendes Werk zum Remixen zur Verfügung gestellt, sondern neu eingespielte einzelne Samples: Klangbausteine also wie verschiedene kurze Streicher-Sequenzen zum Beispiel – oder auch die prägnanten Hörner: „Beim Sichten der Samples habe ich nach relativ ungewöhnlichen Sachen gesucht, ich hab zum Beispiel als rhythmisches Grundmuster den Nachhall aus manchen Aufnahmen benutzt – zum Beispiel ein Knacken von Stühlen oder so – und das dann lautergezogen und das habe ich dann benutzt. Mit dem Original hat Lambert Windges Remix wirklich nicht mehr viel zu tun. Sogar eine Stimme taucht darin auf – es ist seine eigene, die er auch sonst immer wieder in seinen Produktionen verwendet, quasi wie ein Stempel oder eine Signatur. Etwas näher am Original von Bruckner: der Erstplatzierte des Romantic-Revolution-Wettbewerbs, Francois Larini, ein in London lebender Franzose:"Ich wollte ganz bestimmte Teile des Originals betonen. Die Herausforderung dabei: der Abstand zwischen dem, was Bruckner gemacht hat – und dem, was man als Schlafzimmer-Produzent auf die Beine stellen kann. Man muss da wirklich bescheiden bleiben, andererseits wollte ich natürlich auch eine eigene Geschichte erzählen und einen dystopischen Sound erschaffen. Die romantische Seite des Originals kam mir da entgegen." Francois Larini, der als Kind mit dem Klavier und Cello angefangen hat, aber dann umschwenkte in Richtung elektronische Musik, ging an seinen Remix ganz methodisch heran: erst hörte er die ganze Sinfonie, dann las er über die Entstehungsgeschichte, den Hintergrund – und den Beinamen „Romantische Sinfonie“: „Bruckners 4. Sinfonie ist romantisch. Aber nicht im Sinne einer herkömmlichen Liebesgeschichte, sondern eher eine Suche, eine Reise nach irgendwas, wie man sie auch von Wagner kennt. Und mit meinem Track unternehme ich eben auch so eine dunkle Reise, es gibt keine Beats, keine Drummachine, man kann ihn nicht im Berghain spielen.“ In Deutschlands bekanntestem Techno-Club, dem Berliner Berghain, kann man dieses Stück also nicht spielen. Im Konzerthaus wird es aber auch nicht zu hören sein. Wozu also gibt es sie dann überhaupt, die Remixe klassischer Musik? Die Frage stellt sich schon 1984, als der Hip-Hop-Produzent Vincent Davis Beethovens fünfte zur Fifth Street Symphany umwandelte. Damals war klar: der Hip Hop tut das nicht im Auftrag der Klassik, sondern weil er sich eben überall bediente und daraus etwas eigenes machte. Heute ist das Verhältnis nicht mehr ganz so klar: die Klassik schielt auf neue Märkte, die elektronische Musik, nach 30, 40 Jahren Gesc hichte, ist wohl auch nicht mehr Avantgarde – und auf der Suche nach neuer Inspiration. Dabei hat sie auch schon diverse geschmackliche Sackgassen betreten und brachte uns den Bolero im Techno-Trance-Gewand, Strauss mit bollernden Beats, Mozart in so jeder Beat- und Rhythmus-Art, die vorstellbar ist. Inzwischen gibt es allerdings auch eine Generation junger Musiker, die ebenso gern in den Club wie ins klassische Konzert geht. Francois Larini zum Beispiel - Erster im Bruckner-Remix-Wettbewerb Romantic Revolution.