Global Ghetto Tech - die "Weltmusik 2.0"

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Wenn der chinesische Arbeiter im Auftrag weltweit agierender Firmen mit in Deutschland entworfenen Maschinen Dinge für den amerikanischen Markt herstellt – dann ist das Ausdruck der Globalisierung. Globalisierung kann aber auch bedeuten, dass der brasilianische Musiker aus internationalem Pop, portugiesischem Rap, afrikanischen Rhythmen und einem Techno-Beat Musik macht, die dann in einem Club in London läuft. Dieser „positiven kulturellen Globalisierung“, dieser „globalen Dancemusic“ hat sich in Berlin das Festival „Radical Riddims – Global Ghetto Tech“ gewidmet. Yeah!
Der Hinterraum einer kleinen Galerie in Berlin-Kreuzberg: Ein Tisch, darauf ein Mischpult, zwei CD-Spieler, aus den Boxen strömt Musik, die vertraut und fremd zugleich klingt: „Moombahton“ nennt sich das Genre, eine Mischung aus ... ja, aus was eigentlich? House-Music und Kolumbianisches, Electro und R’nB, Pop und Reggae. Uh-Young Kim, Musikjournalist und DJ, ist für die Klänge verantwortlich, wenige Minuten zuvor hat er den Eingangsvortrag zur Veranstaltung „Radical Riddims – Global Ghetto Tech“ gehalten – für ihn die „Weltmusik 2.0“: “Im Prinzip ist das die Weltmusik, wie sie sich durch das Internet verändert hat, sie ist überall verfügbar geworden, die Grenzen zwischen Konsumenten und Produzenten sind aufgehoben, dadurch erleben wir eine Explosion der Vielfalt durch die Globalisierung regionaler Stile.“

Moombahton, Baile Funk, Juice, Bounce, Kuduro, Kwaito – so heißen sie, die bei „Radical Riddims“ angesprochenen Musikrichtungen. Allesamt elektronisch produziert, mal mit, mal ohne landestypische oder traditionelle Musikanleihen. Die Genres haben ihre Ursprünge in den Favelas von Rio de Janeiro, den Johannesburger Armenvierteln, den Vorstädten der Welt. Nicht ganz einfach, da den Überblick zu behalten. Aber vielleicht auch gar nicht nötig, findet Christine Lang, die die Veranstaltung zusammengestellt hat. „Ich denke, dass sich diese Musikstile ähneln, weil sie alle auf preiswerten elektronischen Instrumenten produziert werden. Und das ist wohl auch der Grund, dass sich in den letzten Jahren so viel getan hat: Weil man mit günstigen Computern und günstigen Programmen Musik machen kann.“

Seit rund 20 Jahren stehen dem Do-It-Yourself-Produzenten in aller Welt die günstigen Computer, die Drum-Machines, Synthesizer und Sampler zur Verfügung. Diese technische Revolution auf musikalischer Ebene ist also nicht ganz neu. Doch erst in den letzten Jahren vernetzten sich die lokalen Musikszenen und sorgten für eine ganz andere Dynamik: Ob man sich nun von Stadt zu Stadt oder von Kontinent zu Kontinent austauscht, ist in Zeiten des Internets, der Up- und Downloadplattformen, von Youtube und ähnlichem völlig egal. Christine Lang: „Das ist ja Gebrauchsmusik, die für den Dancefloor gemacht wird. Es kommt auch auf Geschwindigkeit an. Die muss schnell produziert werden, man muss als Remixer schnell reagieren und sie dann wieder weiterschicken. Deshalb klingen die vielleicht auch so ähnlich.“ Uh-Young Kim:„Soundcloud hat den klassischen Plattenladen abgelöst. Das ist eine Plattform, wo jeder seine Tracks draufstellen kann, man kann einzelne Spuren zur Verfügung stellen. Das ist gratis. Dient einzig der Verbreitung und ist ein sehr nützliches Tool.“

Und um was geht es in den Texten der Rapper und Sänger dieser neuen globalen Popmusik? Eigentlich: Um alles. Liebes- und Alltagsgeschichten spielen eine Rolle, natürlich, aber auch Sozialkritisches und Politisches ist zu hören. Allerdings nicht aus der Opferperspektive. Protestsongs im klassischen Sinne sind das nicht.
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„Über Musik zu reden ist wie zu Architektur tanzen“, behauptete einst Rockmusiker Frank Zappa. Mit Zappa hat die neuntägige Veranstaltung „Radical Riddims“ herzlich wenig gemeinsam. Aber weil er trotzdem ein bisschen Recht hat, gibt es nicht nur Vorträge und Filme über die „Weltmusik 2.“0 und ihre verschiedenen Ausprägungen, sondern auch die dazugehörige Party. Einer der DJs: Daniel Haaksman. Er widmet er sich dem „Baile Funk“, der seinen Ursprung im brasilianischen Rio hat: „2003 hatte ich die totale DJ-Krise, es gab nichts Interessantes mehr. Da brachte mir ein Freund CDs aus Rio mit – Baile Funk! Es ging den Baile-Funk-Leuten nicht um irgendwelche Traditionslinien. Es ging darum: Was knallt am besten im Sampler. Das war für mich extrem erfrischend“

Aufregend, erfrischend, energetisch – Worte, die zum Auftakt von „Radical Riddims“ immer wieder fallen. Die elektronisch erzeugten südamerikanischen und afrikanischen Klänge passen auch bei uns sehr viel besser in die angesagten Clubs als zu Kirchentag und Weltmusikfestival.. Sie ermöglichen den Musikern einen kreativen Weg, ohne in sie dabei zu exotische Klischees zu zwingen. Umgekehrt zeigen sie der aktuellen europäischen Club- und Popmusik alternative Wege, weg von der Retro-Fixiertheit und den immer gleichen Rhythmen. Möglicherweise also der Weg in die – oder zumindest eine musikalische Zukunft. Daniel Haaksman: „Für Musik ist es gerade die „beste Zeit ever!“ Musik konnte noch nie so frei zirkulieren. Frei von Restriktionen, frei von juristischen und wirtschaftlichen Restriktionen, weil die Labels, die früher geregelt haben, was nach Europa kommt oder was nicht, nicht mehr existieren oder keine Macht mehr haben. Man kann in Echtzeit verfolgen, wie bestimmte Musikstile entstehen. Das ist einfach großartig.“