Vegard Vinge und Ida Müller: kein Interview

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Es ist vorbei: Vegard Vinge und Ida Müller, Musiker Trond Reinholdtsen und Dutzende von anderen haben die letzte Vorstellung im Nationaltheater Reinickendorf hinter sich gebracht. Es war klar, dass an diesem letzten Abend nicht das gleiche passieren kann wie an den neun Abenden (bzw. Nächten, die Vorstellungen dauern ja bis zu 12 Stunden) zuvor. Aber was genau? Noch nie erlebter Fäkal-Terror? Der Abriss des extra für einen Monat in einer alten Lagerhalle errichteten Theaters in Echtzeit, also während laufender Vorstellung? Vielleicht gar keine Vorstellung, wie es das vor Jahren ja auch schon gab? Oder die komplette Umarmung des Publikums? Nein, es kam dann doch, wie erwartet, ganz unerwartet. Read and rave on nach dem Klick ...

Düster und immer noch gut: Vegard Vinge und Ida Müller am Nationaltheater Reinickendorf

Nationaltheater Reinickendorf Plakat
Fäkalien - eins der letzten Tabus in unserer Gesellschaft. Aber Vegard Vinge, der Ausnahme-Theatermacher aus Norwegen, hat keine Lust, da mitzumachen. Und so stehen seine körpereigenen Abfallprodukte nicht im Mittelpunkt, aber auch nicht völlig am Rande seiner Theatervorstellungen. Ich war jetzt noch einmal in seinem "Nationaltheater Reinickendorf" und es war ziemlich spektakulär, wie ein ganzer Saal reißaus nahm vor einer Hand voll Kot. Aber eben nur so gerade aus Wurfreichweite. Um sich dann wieder hinzusetzen und auf eine Fortsetzung der 12 Stunden langen Performance zu warten, in der Ibsen und Shakespeare, Baumeister Solness und Hamlet auf ganz eigene Art verarbeitet wurden. Hier und hier und hier sind ja die vorigen Besuche im Nationaltheater Reinickendorf bzw. im Prater der Volksbühne dokumentiert, dass ich Vinge/Müller-Fan bin, muss ich wohl auch nicht mehr schreiben. Aber was ich noch loswerden will: nach wie vor gut, diese Mischung aus allem, die nur schwer zu deuten ist. Video und Pausenperformance, ein Theaterhaus, das in seiner Art einzigartig ist, Schauspieler, Kostüme, Bühnenbild: alles passt zusammen. Schön, wie in einer Art Pause Dutzende von Malen Songs von Joy Division und Lana Del Rey liefen - und Vegard Vinge in seiner, nun ja, unnachahmlichen Art mitsang.

Neulich wurde ich mal gefragt, warum ich hier beim Technoarm so viel über Theater schreiben würde. Aber es ist ja nicht Theater im Allgemeinen, das mich interessiert, sondern diese Art von Theater. Dazu kommt: Vegard Vinge und sein "Soundmeister" Trond Reinholdtsen haben in ihre Aufführungen auf ziemlich gute Weise vieles integriert, was die (elektronische) Musik auszeichnet: Sampling, elektronische Verfremdung der Stimmen von Autotune bis Vocodereffekten, Stress durch Lautstärke und Geschwindigkeit, Beats und Melodien wie aus dem Ableton-1mal1. Und Trockeneisnebel plus Stroboskoplicht erinnert auch eher an Kellertechno als an herkömmliches Schauspielhaus. Eine Frage bleibt natürlich: Was, ja was nur soll man tun, wenn dieses Theater Ende Juli für immer seine Türen schließt? Ich weiß es nicht.

Vegard Vinge im Nationaltheater Reinickendorf, Tag 433 from Martin Boettcher on Vimeo.

Vegard Vinge und Ida Müller sind gut gelaunt am Nationaltheater Reinickendorf

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Neulich erzählte ich meiner Mutter von Vegard Vinge und seinen Ibsen-Inszenierungen. Sie sagte zu mir: "Ich wusste gar nicht, dass Du Dich für Theater interessierst!" Ich so: "Tu ich auch nicht, ich interessiere mich nur für Vegard Vinge und Ida Müller und ihr Extremtheater. Weshalb die beiden hier ständig beim Technoarm auftauchen. Na ja, was heißt ständig, sie haben ja mehrere Jahre nichts von sich hören lassen, da war es hier auch sehr ruhig um die beiden. Aber davor und jetzt auch wieder ist das wohl so. Es sind ja auch nur noch ein paar Vorstellungen bis Ende Juli, dann ist erst einmal wieder Schluss mit dem Vinge/Müller-Spektakel, was natürlich extrem schade ist. Hier nun ein kleiner Zwischenstand: vor einer Woche gab es die offizielle Premiere (offizielle Premiere? Was heißt das denn? Na das hier!), ich war auch wieder dabei, habe aber nur sieben Stunden durchgehalten. Immerhin konnte ich feststellen, dass viele, viele Kollegen ebenfalls dort waren, von der schreibenden und von der sendenden Presse. Im Radio habe ich dann auch gleich einigen Unsinn vernehmen müssen, nicht gut, wenn Kollegen die Berichterstattung übernehmen, die nicht so die Ahnung haben. Dafür sind von den Schreiberlingen wieder viele Auskenner dabei. Vor allem die Berliner Zeitung scheint die gute alte Tradition wieder aufzunehmen, möglichst jede Regung von Vinge/Müller einzufangen. Das gefällt mir. Ansonsten fand ich sehr lesbar die Artikel in der Welt, im Berliner Tagesspiegel, bei Nachtkritik und hier. Und natürlich meine eigenen (Scherz). Was ich seltsam finde: Nazis, Nazi-Ästhetik, die Nazi-Vergangenheit Deutschlands spielt im Werk von Vinge oft eine Rolle. Aber darüber hat noch niemand so richtig geschrieben. Ich allerdings auch nicht, aber im Video wird es deutlich.

vegard from Martin Boettcher on Vimeo.


Was noch? Ich bleibe auch nach der offiziellen Premiere dabei: Niemand kann Vinge/Müller das Wasser reichen. Frage mich aber außerdem die ganze Zeit, wer wohl der andere Schauspieler ist, der sehr frei spricht und agiert. Er scheint eine Art Vertrauter von Vegard Vinge zu sein und macht das sehr gut. Es ging, natürlich, mal wieder um alles. Gegessen wurde, ausgeschieden wurde, es gab Sex und Onanie, Gesang, Film … und die hinteren Bühnengemächer wurden geöffnet! Das verschollene U-Boot aus dem Prater, das ich nur von Videos kannte, war zu sehen. Eine Figur, die Vinge in einer sehr bekannten Pose (auf dem Rücken liegend, sich selbst in den Mund pinkelnd) zeigt, wurde präsentiert. Außerdem die große Panini-Bildsammlung, eine Art Geisterbahn, gemalte Bildchen von Nazigrößen. Ich weiß, das liest sich sehr kryptisch. Aber wer Fan ist, weiß, wovon ich schreibe. Wer noch kein Fan ist, kann sich hier beim Technoarm alle Vinge-Artikel durchlesen und die Videos ansehen, dann ist er/sie schlauer. Gute Nacht.

Vegard Vinge: Seltsame Mauscheleien mit dem Nationaltheater Reinickendorf

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Man muss ja nicht gleich von "Skandal" sprechen, aber eine Gemeinheit ist es schon, wie sie an diesem Wochenende mit Vegard Vinge umgegangen sind! Vegard Vinge, das ist der Theatermacher, der gemeinsam mit seiner Bühnenbildnerin Ida Müller mit seinen Ibsen-Inszenierungen, mit seinem Extremtheater für Aufsehen, Irritation, Begeisterung, Ablehnung und Schlagzeilen gesorgt hat. Vegard Vinge und Ida Müller sind radikale Theatermacher. Ihre mühevoll aus Pappe und Farbe gestalteten Bühnenbilder und die Masken ihrer Schauspieler verbreiten eine seltsam morbide, entfremdete Stimmung. Vinge/Müller-Stücke sind heftig, Gewalt spielt eine große Rolle, Kunstblut wird großzügig ausgeschüttet, wer auf lineare Handlung angewiesen ist, könnte verzweifeln. Und es kommt gar nicht mal so selten vor, dass ihre Inszenierungen acht oder zehn oder auch zwölf Stunden dauern. 2012 schafften es Vinge und Müller mit ihrer Inszenierung von Ibsens John Gabriel Borkmann zum Berliner Theatertreffen.

Vier Jahre lang hatte Vegard Vinge nichts von sich hören lassen, vier lange Jahre, in denen immer mal wieder jemand sehnsüchtig fragte, wann denn endlich Neues vom radikalen Norweger zu sehen sein würde. Nun, jetzt, am Samstag, dem 1. Juli 2017, war es so weit: Vinge/Müller eröffneten unter den Fittichen des Haus der Berliner Festspiele ihr "Nationaltheater Reinickendorf". "Extremtheater"! "Theatertreffen-Teilnehmer"! "Ausnahme-Schauspiel"! Bei solchen Schlagworten, könnte man meinen, würden die Feuilletons, die einschlägigen Theaterkritiker Schlange stehen, um über die erste Vorstellung zu berichten. Jetzt haben wir Montag, den 3. Juli, und was soll ich sagen? Es ist so gut wie kein Wort über das Nationaltheater und diese erste Vorstellung gefallen. Nur bei Nachtkritik haben sie sich dazu durchgerungen, die ganze Veranstaltung nicht komplett zu ignorieren wie die anderen - dort hat man sich an einem Kompromiss versucht. Ansonsten: nur Zurückhaltung. Aber warum? Dazu ein paar Überlegungen, die meiner Ansicht nach den Theaterjournalismus in keinem guten Licht stehen lassen. Read and rave on nach dem Klick ...

Vegard is back!

Es gibt Theatermacher - und es gibt Vegard Vinge. Bzw. Vegard Vinge und Ida Müller. Der Regisseur und die Bühnenbildnerin arbeiten sich seit Jahren am Werk von Henrik Ibsen ab, aber auf eine Art und Weise, die mit herkömmlichem Theater nicht viel zu tun hat: die unglaublich langen Aufführungen von Ibsen-Stücken wie "Die Wildente" oder "John Gabriel Borkmann" erzählen die eigentliche Handlung nur sehr schleppend und nicht unbedingt systematisch. Dafür sehr blutig, mit verstörendem Bühnenbild, Musik-Gewitter und grusligen Masken. Beschreiben lässt sich das nur unzulänglich, zwei hier verlinkte Videos (das eine von Vinges "Wildenten"-Inszenierung am Berliner Prater, das andere von seinem "12 Spartenhaus") geben aber einen schönen Eindruck:

Die Wildente - Vildanden from Martin Boettcher on Vimeo.



Das 12-Spartenhaus von Vegard Vinge und Ida Müller from Martin Boettcher on Vimeo.


Ich habe über Vegard Vinge und Ida Müller schon viel geschrieben und erzählt, hier und hier und hier beim Technoarm und dann auch noch im Deutschlandradio Kultur (jetzt Deutschlandfunk Kultur), eine gewisse Begeisterung scheint da bei mir durch! Und jetzt gibt es tatsächlich Neues von den beiden, nach mehr als vier Jahren Sendepause. Unter dem Dach der Berliner Festspiele haben sie im wirklich farblosesten Bezirk Berlins das "Nationaltheater Reinickendorf" gegründet. Der Name allein verrät schon wieder ordentlich Größenwahn, am 1. Juli steht die erste Vorstellung von was auch immer an - und ich freue mich sehr, sehr, sehr darauf. Mehr an dieser Stelle!

Dem Hype ein Schnippchen geschlagen!

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Vielleicht hat es sich schon rumgesprochen: Ich bin großer Fan von Vegard Vinge und seinem Extremtheater. Und jetzt gab es endlich Neues von ihm und seiner Mitstreiterin Ida Müller (ein Mensch namens Trond Reinholdtsen mischt auch mit, ich glaube, er sorgt für Geräusche und Musik). Große Verwirrung jedenfalls bei der Premiere ihres neuen Stücks, wie gehabt im Prater der Berliner Volksbühne angesetzt. „Das 12-Spartenhaus“ heißt das Ganze. Und was soll ich sagen? Grande Enttäuschung bei dieser Premiere. Dreieinhalb Stunden durften wir im Foyer ausharren und wurden dann nach Hause geschickt, ohne dass sich die Türen zu Zuschauerraum und Bühne geöffnet hätten. Schlauer (also in Sachen „Was ist eigentlich ein 12-Spartenhaus?“) war danach auch keiner. Read and rave on nach dem Klick ...

Pervers gutes oder einfach nur perverses Theater?

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Wenn sich die Bild-Zeitung mit Theater beschäftigt, dann kann man sich ziemlich sicher sein, dass das Thema in eine der folgenden Kategorien passt. Erstens: Einem der Schauspieler ist irgendwas Schlimmes passiert. Zweitens: Es hat gebrannt. Drittens: Es hat einen „Skandal“ gegeben. Gebrannt hat es nicht im Prater der Berliner Volksbühne. Den Schauspielern ist auch nichts wirklich Schlimmes passiert. Bleibt also nur der „Skandal“, der sich für die Bild unter der Überschrift „Das perverseste Theater-Stück Berlins“ zusammenfassen lässt. Read and rave on nach dem Klick ...

Und noch einmal: Die Wildente!

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Ein Theaterstück wie eine Geisterbahnfahrt, nur viel, viel länger: So könnte man die Inszenierung der „Wildente“ in Berlin, die gerade zu Ende gegangen ist, auch beschreiben. Zwei Wochen lang eine extreme Szene nach der anderen, mit viel Blut, Sex, Dramatik und all den menschlichen Abgründen, die sich so auftun. Ich bin immer noch so begeistert wie vor zwei Wochen, als ich hier schon mal über „Die Wildente“ schrieb. Aber gleichzeitig sehr viel schlauer. Und gefilmt habe ich auch noch. Nur gut, dass die Boulevardzeitungen das ganze übersehen haben! Read and rave on nach dem Klick ...

Die Wildente - was für ein Theater!

Da wohnt man also in der Großstadt, in Berlin, hält sich für mit allen Wassern gewaschen und glaubt, schon alles gesehen zu haben. Und dann das: Ein Theaterstück, das einen von den Socken haut. Ein Stück, das echt krass ist, verstörend und faszinierend. Eigentlich gar nicht so richtig Theater, wie wir es sonst kennen. Kein „Vorhang auf!“, keine feste Anfangszeit, kein Schlusspunkt. Sondern Theater rund um die Uhr. 24 Stunden am Tag. Wochenlang. Umsonst, für alle, die sich in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg hinter die schwarzen Vorhänge trauen, auf denen steht, dass man erst ab 18 rein darf. Read and rave on nach dem Klick ...