Der Rückblick auf Retromania
25. 12 11 Floor: Leben
Es gab in diesem Jahr viele kleinere Themen in der Musik – und ein großes, das den Diskurs bestimmt hat: Die Retrofixiertheit der Popmusik. Hat sich ja auch der Technoarm schon mit beschäftigt. Der britische Musikjournalist Simon Reynolds ist dafür verantwortlich, er hat das entsprechende Buch dazu geschrieben: Retromania. Und mit ihm konnte ich jetzt zum Jahresende endlich persönlich sprechen.
Die gerade so hochgespülte Lana Del Rey bringt es noch einmal auf den Punkt: Popmusik - das bedeutete einmal: Alles einreißen und Neues erschaffen, nach vorne schauen, progressiv und modern und avantgardistisch an Musik herangehen, innovativ und kreativ. Doch all das ist massentaugliche Popmusik – und damit auch Lana Del Rey - nicht mehr, behauptet der Musikjournalist Simon Reynolds: „Klar, Künstler brauchen eine Ausgangspunkt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob ich von etwas beeinflusst werde und es weiterentwickle – oder ich die Archive der Vergangenheit durchwühle und sklavisch alles da rausziehe. Kritisch wird es, wenn man zu dicht an der Vergangenheit dran ist, auf sie angewiesen ist und alles Vergangene verehrt.“
Mit seinen Thesen trat Reynolds eine Debatte los. Kritiker waren geteilter Meinung: Manche sagte, es gebe jede Menge neue, nach vorne schauende Musik, Reynolds mache Panik. Andere stimmten zu und bedauerten mit ihm, dass die einst progressive Popmusik ihr Vorwärtsmoment verloren habe. Und dann gab es auch noch eine dritte Gruppe, mit deren Reaktion Reynolds am wenigsten gerechnet hatte: „Am spannendsten fand ich das Argument, dass Kunst und Kultur schon immer recycelt und die Vergangenheit umgearbeitet hätten. Etwas bizarr aber wurde es, als einer behauptete, sogar die Beatles seien schon retro gewesen!“
Musik, die sich auf Musik von früher beruft, hat nicht mehr so viel Kraft wie das Original, sagt Simon Reynolds – in Retromania vergleicht er das mit Orangensaft: Retro-Musik ist Saft aus Konzentrat und habe einfach nicht den Geschmack von frisch gepressten Orangen. Und wenn er da so schreibt von der letzten Dekade, der „Re“-Dekade, dann sieht man auf einmal überall, den Retro-Teufel: immer mehr Jahrestage und Jubiläen werden gefeiert. Bands, die sich schon vor langer Zeit aufgelöst haben, sind auf einmal wieder da: Fleetwood Mac, Take That, Duran Duran. etc etc. etc. Und dann noch der ganze andere Kram aus der Mottenkiste, die Fernsehshow, die sich mal mehr, meist weniger gelungen mit der musikalischen Vergangenheit beschäftigen, mit den größten Hits der 70er, 80er, 90er. Dazu die entsprechenden Partys und die in schöner Regelmäßigkeit wieder in Mode kommenden Stile Soul, Rave, Folk, Electropop, Wave oder Goth.
Einen gewissen Hang zum Retro, den gab es schon immer - sogar in den 40ern, schreibt Reynolds, da sammelte man vergriffene Jazz-Platten aus der Vergangenheit und fühlte sich großartig. Jetzt aber ist Retro nicht mehr Nische, sondern Mainstream, die letzte wirkliche musikalische Revolution liegt zwanzig Jahre zurück - Techno, nicht nur ein neuer Musikstil, sondern eine ganz Jugendbewegung, die völlig ironiefrei und ohne Blick zurück, volle Kraft voraus, inklusive Mode, Rituale, Tanz in die Zukunft zog. Seitdem: Tote Hose auf der halbwegs massentauglichen Popbühne: „Das Interesse daran, etwas Neues, Futuristisches zu schaffen, ist zurückgegangen. Das liegt auch daran, dass unsere Vorstellung von „Zukunft“ mittlerweile selbst zum Klischee geworden ist. Oft, wenn wir etwas futuristisch angehauchtes hören, ist das retrofuturistisch. Die Zukunft hat kalt, elektronisch, kosmisch und abstrakt zu klingen, aber das sind lang etablierte Vorstellungen – unsere Vorstellung vom Sound der Zukunft ist mittlerweile auch schon retro.“
Vielleicht müssen wir endlich das „Vergessen-können“ lernen, schreibt Reynolds. Aber wie soll das gehen? Youtube und itunes sind riesige Archive, Multimedia-Bibliotheken, in denen man jede Minimode der letzten 50 Jahre aufspüren kann, um sie dann zu kopieren, zu interpretieren oder als Sprungbrett zur nächsten Mode zu nutzen. Vielleicht aber ändert sich unser Bedürfnis auch noch einmal: Dann, wenn wirklich alles wiedergekäut und aufgewärmt und zweit- dritt oder viertverwertet ist. In der Musik sind wir noch nicht so weit: „Natürlich gibt es auch frische, andersartige neue Musik. Aber sie spielt sich an den Rändern ab und hat mit dem Mainstream nichts zu tun. Das sind auch keine neuen Genres, sondern einzelne Künstler, die auf einmal mit etwas sehr Beeindruckendem auftauchen.“
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RETROMANIA - Pop Culture's Addiction to its Own Past – von Simon Reynolds. Das Buch hat 456 Seiten, bislang nur in Englisch erschienen, kostet um die 20 Euro. Die deutsche Ausgabe soll erst im Herbst 2012 erscheinen.
Mit seinen Thesen trat Reynolds eine Debatte los. Kritiker waren geteilter Meinung: Manche sagte, es gebe jede Menge neue, nach vorne schauende Musik, Reynolds mache Panik. Andere stimmten zu und bedauerten mit ihm, dass die einst progressive Popmusik ihr Vorwärtsmoment verloren habe. Und dann gab es auch noch eine dritte Gruppe, mit deren Reaktion Reynolds am wenigsten gerechnet hatte: „Am spannendsten fand ich das Argument, dass Kunst und Kultur schon immer recycelt und die Vergangenheit umgearbeitet hätten. Etwas bizarr aber wurde es, als einer behauptete, sogar die Beatles seien schon retro gewesen!“
Musik, die sich auf Musik von früher beruft, hat nicht mehr so viel Kraft wie das Original, sagt Simon Reynolds – in Retromania vergleicht er das mit Orangensaft: Retro-Musik ist Saft aus Konzentrat und habe einfach nicht den Geschmack von frisch gepressten Orangen. Und wenn er da so schreibt von der letzten Dekade, der „Re“-Dekade, dann sieht man auf einmal überall, den Retro-Teufel: immer mehr Jahrestage und Jubiläen werden gefeiert. Bands, die sich schon vor langer Zeit aufgelöst haben, sind auf einmal wieder da: Fleetwood Mac, Take That, Duran Duran. etc etc. etc. Und dann noch der ganze andere Kram aus der Mottenkiste, die Fernsehshow, die sich mal mehr, meist weniger gelungen mit der musikalischen Vergangenheit beschäftigen, mit den größten Hits der 70er, 80er, 90er. Dazu die entsprechenden Partys und die in schöner Regelmäßigkeit wieder in Mode kommenden Stile Soul, Rave, Folk, Electropop, Wave oder Goth.
Einen gewissen Hang zum Retro, den gab es schon immer - sogar in den 40ern, schreibt Reynolds, da sammelte man vergriffene Jazz-Platten aus der Vergangenheit und fühlte sich großartig. Jetzt aber ist Retro nicht mehr Nische, sondern Mainstream, die letzte wirkliche musikalische Revolution liegt zwanzig Jahre zurück - Techno, nicht nur ein neuer Musikstil, sondern eine ganz Jugendbewegung, die völlig ironiefrei und ohne Blick zurück, volle Kraft voraus, inklusive Mode, Rituale, Tanz in die Zukunft zog. Seitdem: Tote Hose auf der halbwegs massentauglichen Popbühne: „Das Interesse daran, etwas Neues, Futuristisches zu schaffen, ist zurückgegangen. Das liegt auch daran, dass unsere Vorstellung von „Zukunft“ mittlerweile selbst zum Klischee geworden ist. Oft, wenn wir etwas futuristisch angehauchtes hören, ist das retrofuturistisch. Die Zukunft hat kalt, elektronisch, kosmisch und abstrakt zu klingen, aber das sind lang etablierte Vorstellungen – unsere Vorstellung vom Sound der Zukunft ist mittlerweile auch schon retro.“
Vielleicht müssen wir endlich das „Vergessen-können“ lernen, schreibt Reynolds. Aber wie soll das gehen? Youtube und itunes sind riesige Archive, Multimedia-Bibliotheken, in denen man jede Minimode der letzten 50 Jahre aufspüren kann, um sie dann zu kopieren, zu interpretieren oder als Sprungbrett zur nächsten Mode zu nutzen. Vielleicht aber ändert sich unser Bedürfnis auch noch einmal: Dann, wenn wirklich alles wiedergekäut und aufgewärmt und zweit- dritt oder viertverwertet ist. In der Musik sind wir noch nicht so weit: „Natürlich gibt es auch frische, andersartige neue Musik. Aber sie spielt sich an den Rändern ab und hat mit dem Mainstream nichts zu tun. Das sind auch keine neuen Genres, sondern einzelne Künstler, die auf einmal mit etwas sehr Beeindruckendem auftauchen.“
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RETROMANIA - Pop Culture's Addiction to its Own Past – von Simon Reynolds. Das Buch hat 456 Seiten, bislang nur in Englisch erschienen, kostet um die 20 Euro. Die deutsche Ausgabe soll erst im Herbst 2012 erscheinen.