Das Techno-Duo Drexciya und seine Unterwasser-Utopien

Flower
Dass Musik, die sich mit dem Meer auseinandersetzt, nicht immer mit Sehnsucht, Seemännern und Romantik zu tun haben muss, sollte klar sein. Wenn nicht, dann muss man sich nur einmal die Musik des mysteriösen Duos Drexciya aus Detroit, das von 1989 bis 2002 existierte und in Techno-Electro-Kreisen noch heute legendären Ruf besitzt, anhören. Die instrumentalen Stücke von Drexciya tragen Titel wie Lost Vessel – verlorenes Schiff, Neptuns Höhle oder auch: Song of the Green Whale. Drexciya kamen aus Detroit und haben sich in bester Techno-Manier vor der Öffentlichkeit versteckt: Interviews, wenn überhaupt, dann nur mit Maske, zu den Platten kaum Informationen, lange Zeit war nicht klar, wer überhaupt hinter Drexciya steckte.
Dafür aber strickten James Stinton und Gerald Donald an einem Mythos ähnlich dem von Platos Atlantis: Drexciya, so verkündeten sie auf ihrer 97er Platte „The Quest“, sei ein Unterwasser-Staat. Dort lebten die Drexciyaner, ein Volk, das entstand, als schwangere Sklavinnen während der Überfahrt nach Amerika von Bord geworfen worden und ihre ungeborenen Kinder sich am Meeresboden zu eigenständigen Lebewesen entwickelt hätten, die unter Wasser atmen könnten.
James Stinton und Gerald Donald nutzten futuristisch anmutenden Electro, Ambient Music und Industrial Sounds, um ihren Mythos von der Unterwasser-Spezies der Drexciyaner in Klang umzusetzen. Die erfundene Geschichte selbst wirkt auf den ersten Blick wie billige Science Fiction, hat aber bei näherer Betrachtung durchaus Substanz und Tiefgang: Man benutze die Musik und den Mythos, um besser erklären zu können, wie man sich als Schwarzer mitunter in den USA fühle – wie Aliens nämlich, denen man ihre ursprüngliche Heimat weggenommen hätte und die man in eine fremde Umgebung verpflanzt hätte. Aquatopie als Fluchtpunkt - Drexciya sind damit eng verwandt mit dem Afrofuturismus von Sun Ra.
Das Duo machte nur bis 2002 zusammen Musik. Dann starb überraschend einer der beiden, James Stinton, nach einem Herzinfarkt. Und mit dem Tod wurde überhaupt erst mehr über ihn bekannt: Er hatte neben der Musik als Lastwagenfahrer gearbeitet. Die Original-Platten von Drexciya, die auf Labeln wie Tresor, Underground Resistance und Submerge veröffentlicht wurden, sind heute zum Teil viel Geld wert. Das niederländische Clone-Label aber hat gerade noch einmal eine Best-of-Compilation herausgebracht – ein Tauchgang für Anfänger, sozusagen.
Mehr über Drexciya gefällig? Es gibt einen ganz und gar großartigen Blog (ja, ich sage nach wie vor der Blog, nicht das Blog - kommt mir einfach leichter über die Lippen) namens Drexciya Research Lab!
Interesse geweckt? Was ich sonst noch so zu Drexciya zu sagen habe, kann man im Radio hören: www.byte.fm am Samstagabend von 20-22 Uhr. In Hamburg zur gleichen Zeit auch auf UKW. ByteFM-Sendungen können übrigens auch noch mal angehört werden - dank unseres Archivs.