Techno macht glücklich - der Fotobeweis

Eine Gruppe jugendlicher Partygänger auf einem Foto von Werner Amann aus seinem Buch Ein neues Buch, das sich mit der Techno- und Rave-Kultur der 90er beschäftigt. „Noch eins?“, könnte man sich fragen. Und habe ich mich auch gefragt. Aber das ist nicht nur einfach ein "ich jetzt auch"-Buch, sondern ein ganz besonderes. "Kein morgen" heißt es, die Fotos darin stammen von Werner Amann. Und ein paar Texte finden sich auch darin, die hat der Schriftsteller Leif Randt verfasst.

Wer die Techno- und die Rave-Kultur für eine Jugendkultur hält, liegt mehr oder weniger richtig: Wer zu Techno in den Clubs und auf den Festivals feiert, ist nach wie vor eher jung (klar, nicht immer, aber so tendenziell schon). Aber die Musik und das, was sich drumherum abspielt, gibt es natürlich schon seit Jahrzehnten. Höhepunkt des Ganzen in Deutschland: Sicherlich die 90er, sichtbar gemacht durch Massenveranstaltungen wie die Loveparade in Berlin. Werner Amann ist Fotograf, ist damals in der Szene unterwegs gewesen und hat dabei etliche Fotos geschossen – in einer Zeit, in der noch nicht jeder eine Kamera im Handy dabei hatte. Jetzt also hat Amann einen Bruchteil dieser Fotos in dieses Buch gepackt.

Beim allerersten Durchblättern habe ich erst einmal geguckt, ob ich darin zu sehen bin. Oder ob jemand dabei ist, den ich kenne. Mich habe ich nicht gefunden, aber ein paar bekannte Gesichter. Bei einem der Abgebildeten war ich mir ziemlich sicher, dass das ein alter Kumpel von mir ist. Aber auch Nachfrage stellte sich raus, dass das wohl nur ein Doppelgänger war. Die anderen bekannten Gestalten: DJs wie Sven Väth, Jeff Mills, Richie Hawtin, Marshall Jefferson., außerdem der Rave-Schriftsteler Rainald Goetz, der gleich mehrmals zu sehen ist. Auf einem Foto war entweder Tanith zu sehen - oder auch sein Doppelgänger. Die Klamotten, die die alle tragen, sehen übrigens ziemlich stylisch und zeitgemäß aus. Hat aber vielleicht mit dem 90ies-Revival derzeit zu tun.

Entstanden sind die Fotos in Berlin, Zürich, New York, Ruhrgebiet, Italien. Werner Amann, der damals Techno für sich entdeckt hat, ist offenbar ganz schön rumgekommen. Loveparade, in Clubs wie dem Tresor, dem E-Werk, dem Planet Bochum, auf der Mayday, im Tunnel, im Limelight in New York. Werner Amann hat einfach fotografiert. Und zwar immer nur Menschen. Die Locations spielen praktisch keine Rolle, wir sehen eigentlich nichts von der Architektur, kaum etwas von der Arbeit der DJs, keine Türsteher oder Barleute.

Das Buch selbst scheint die Geschichte eines exzessiven Party-Wochenendes zu erinnern: Es fängt an mit Bildern von der Loveparade, also draußen und am Tage, dann geht es in die Nacht, in den Club, es wird getanzt, dann abgestürzt, am Ende ist wieder Tageslicht, die Leute sind glücklich, aber erschöpft. Der Buchtitel "Kein morgen" passt ziemlich gut. Gefeiert wurde im Hier und Jetzt, damals, als Techno noch frisch war. Dieses euphorische Tanzen. angesichts dieser immer noch neuen Musik, diese Vorstellung der „Raving Society“, wie sie Westbam mal genannt hat: Dass man sich wirklich komplett im Moment verlieren kann. Gerade in Berlin, wo die meisten der Bilder entstanden sind: Man brauchte da kein Geld, hat auf diesen Partys und in diesen Clubs Gleichgesinnte gefunden, die vielleicht komplett anders strukturiert waren, aber diese Begeisterung für Techno hat alles überstrahlt.

In diesen Bildern liegt aber gleichzeitig auch Zeitloses, das Feiern an sich ist ja nicht 90er-spezifisch. Und das macht sie vielleicht auch so interessant. Ich blicke in diese Gesichter und denke mir: Was wohl aus ihr oder aus ihm geworden ist? Das hier ist übrigens mein Lieblingsbild aus "Kein morgen" - vielleicht, weil sich da all das, was ich gerade erwähnt habe, widerspiegelt. Entstanden ist es auf der Loveparade 1995.

Glückliche Tänzerin auf einem Foto von Werner Amann aus dem Buch


Was ich noch schön finde an diesem Buch: Die Fotos darin zeigen ein etwas anderes Bild der Rave-Kultur, als es sonst so gezeichnet wird. Nehmen wir mal die Loveparade. Unser Bild davon, selbst bei denen, die dabei waren, ist stark geprägt von Fernseh-Bildern: Eine Million Menschen rund um die Siegessäule, gerne als Totale gezeigt. Oder immer wieder die großen Trucks, auf denen möglichst leichtbekleidete oder flippig angezogene, angemalte, tätowierte, trainierte Menschen gezeigt werden. Davon ist in „Kein morgen“ nichts zu sehen. Es geht um den Einzelnen, um die Einzelne. Ums Glücklichsein im Moment. Diese Menschen sind schön, weil sie glücklich sind, nicht weil sie in die Muckibude gehen oder gemachte Brüste haben.

Ganz interessant ist natürlich die Frage, was die Fotos von damals über die Gegenwart sagen. Heute gibt es ja in vielen Clubs ein Fotoverbot. Das Handy wird am Eingang abgeklebt, keine Bilder sollen nach außen dringen, damit man in Ruhe feiern kann und bei eventuellen Grenzüberschreitungen nicht gefilmt oder fotografiert werden kann. Und mit Fotoapparat, so wie Werner Amann, kommt man schon gar nicht hinein. Das macht das Geschehen in den Clubs von heute geheimnisvoll. Außerhalb der Clubs, zum Beispiel bei Festivals oder Street Parades, hat dagegen jede und jeder eine Kamera im Smartphones dabei. Da bräuchte es einen Werner Amann gar nicht mehr. Und es gibt ja auch kaum noch Fotografen wie ihn, die heute unterwegs sind.

Ach ja, die Texte von Leif Randt, die sich da verstreut im Buch finden …Das sind ja nur eine Handvoll Texte– zwölf, um genau zu sein. Manche extrem kurz, so was hier zum Beispiel: „Man dürfe ruhig mal mit dem Mythos um die Neunziger aufräumen, textet mir ein 46-jähriger Star-DJ auf dem Weg nach Heidelberg.“

Ich würde die so einordnen: Es soll tatsächlich nicht noch mehr zur Mythologisierung der 90er beigetragen werden. Sondern uns über Erinnerung und Gegenwart nachdenken lassen. In einem zweiten dieser Kurztexte heißt es etwa: „Gerne würden wir dem Futurismus dieser musealen Vergangenheit nachjagen.“

So ist das wohl: Man sieht diese Bilder von früher und wäre gerne auch noch mal so jung und glücklich und sorgenfrei. Aber im Jahr 2023 fällt es ganz schön schwer, unbeschwert in die Zukunft zu schauen.

„Kein morgen“ von Werner Amann, mit einigen Texten von Leif Randt ist im Spector-Verlag erschienen, kostet 36 Euro.
><p class=Schlüsselworte: , , , , ,