Neues Mute-Buch: toller Geburtstag

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Mute. Ein englisches Wort. Es bedeutet: stumm. Aber stumm ist das englische Mute-Label nie gewesen. Im Gegenteil. In den fast 40 Jahren, die Mute existiert, sind dort jede Menge große Alben veröffentlicht worden: Depeche Mode, Nick Cave, Moby, die Einstürzenden Neubauten und viele mehr. Jetzt ist das Buch zur ungewöhnlichen Erfolgsstory erschienen: „Mute. Die Geschichte eines Labels: 1978 bis morgen“. Was davon zu halten ist, was Labelgründer Daniel Miller dazu sagt? Eine ganze Menge. Und dann doch wieder nicht.
1978. Der 27-jährige Engländer Daniel Miller hat sich einen billigen Synthesizer gekauft und nimmt ganz alleine einen energiegeladenen Song auf. Warm Leatherette. Was aber tun mit dem punkig aufgeladenen Electro-Stück? Miller presst eine Single und veröffentlicht sie selbst. Der Name seines damit gegründeten Labels: Mute. Und jetzt, fast vier Jahrzehnte später, also ein Buch über Mute. Denn aus dem kleinen Einmann-Betrieb entwickelte sich ein wichtiges Indie-Label, eines, das so unterschiedliche Musiker wie Depeche Mode und Richard Hawley, Moby und Nick Cave, Goldfrapp und Erasure, Deutsch Amerikanische Freundschaft und die Liars unter einen Hut brachte. Sie alle finden sich in "Mute. Die Geschichte eines Labels: 1978 bis heute." Erzählt wird die Story des Labels vor allem über Bilder. Über Fotos, Grafiken, Flyer, Cover-Entwürfe. Eine ganz bewusste Entscheidung, sagt Daniel Miller: "If I did a biography of Mute there would be a lot of personal things in relationships with artists which I just wouldnt want to talk about because they are private. And so it would have been very incomplete in a way. But I thought this was a very nice way of telling the story through the visual side of Mute. Because I think this visual side is very important.“

Mute gilt als Inbegriff der Indie-Bewegung, ein Label, das den Künstler in den Mittelpunkt stellte, nicht die Verkaufszahlen. Ein Label vor allem der subkulturellen 80er, so wie auch die etwa zur gleichen Zeit gegründeten englischen Labels 4AD und Factory. Anders als diese beiden aber wollte Mute mit der Plattencover-Gestaltung nicht sich selbst als Label ein einheitliches Äußeres verpassen und sich so erkennbar machen, sondern den Musikern die Chance geben, auch visuell etwas über sich auszusagen. Vince Clarke, für eine kurze Zeit bei Depeche Mode dabei, später bei Yazoo und Erasure, sagt dazu: Alles bei Mute, auch das, was kein Erfolg wurde, sei immer echt und authentisch gewesen. Auch deshalb haben Menschen dem Label vertraut, die Künstler und die Käufer. Daniel Miller weiß das – und pflegt auch deshalb seinen eigenen, vertraulichen Stil: kein schlechtes Wort über irgendjemanden, keiner seiner Künstler wird extra herausgehoben. Nicht einmal ein persönliches Urteil, welches das wichtigste Album in der Label-Geschichte sein könnte:
"Of course you could look at some of the bigger releases like Violator or Play or the Innocents by Erasure from a commercial point of view. But that’s not as important as an artists career, I would say. You know, these are long term relationships, Nick Cave, Depeche Mode, Vince Clarke and his projects, these are 30-year-relationships and it is very important to have these long relationships where you work with an artist, where you develop them, you have your fights, you have your pros and cons. But somehow underneath is a trust that enables you to move forward. Those long careers mean a lot to me and these long relationships mean a lot to me."

Verschiedene Phasen hat das Mute-Label durchgemacht. Von ganz allein im Schlafzimmer bis hin zum großen Büro mit vielen Angestellten. Und dass das so gut geklappt hat, lag wohl vor allem an Daniel Miller und seinem Bauchgefühl – wen er für gut und interessant hielt, den nahm er als Künstler bei Muteauf. Zwischendurch sah es allerdings kurz mal so aus, als ob es mit Mute zu Ende gehen könnte. Der für Popkultur so wichtige Zeitgeist widersprach Millers Bauchgefühl und konnte mit dem Label und seinen Künstlern nichts anfangen: "There was a point in the musical landscape in the UK in the late 90ies where it was really unfavourable for us. In the UK the media was completely obsessed with Brit Pop, it was related to the politics ot that time, Tony Blair, New Labour, the whole retro revolution thing. And we were not a Brit Pop label. Of course Depeche Mode and Nick Cave and Erasure were doing well, but for us as a label it was difficult to expose new artists, because the kind of music we were interested in was not the kind of music the media was interested in. That was a tricky time. But then came Moby and that was an incredible success for him and us."

Rund 12 Millionen mal verkaufte sich das Play-Album des New Yorkers Moby mit seiner Mischung aus Blues-Samples und weichen elektronischen Sounds – und Daniel Miller, der das Album auf Mute veröffentlicht hatte, galt als Genie. Wenig später, 2002 kaufte das Major-Label EMI Mute auf. Jahre später gründete Miller Mute neu – heute ist das Label wieder komplett unabhängig, wenn auch ohne die Rechte am Backkatalog. Schwer zu durchschauen, was dieses Hin und Her für die Entwicklung von Mute bedeutete. Aber das spielt für das neue Buch keine Rolle. Hier kann man eher nostalgisch in die Labelgeschichte eintauchen, auch weil Miller aus seinem privaten Archiv Fotos und Unterlagen herausgekramt hat. Als Fan allerdings wünschte man sich, er wäre persönlicher an die Sache herangegangen, hätte ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert. So bleibt das Buch, mit all seinen optischen Leckereien, zu oft an der Oberfläche. Wie es weitergeht mit Mute? Schwer zu sagen, Miller, heute 66, plant immer noch nicht lange im Voraus. Aber Lust auf Neues hat er noch: "Yeah, of course I do, yeah."