Sado Opera dreht am Zeiger!
29. 07 16 Floor: Musik
Das „Pasternak“ in Prenzlauer Berg ist ein ziemlich gepflegtes Restaurant. Die Kellner laufen mit blütenweißen Schürzen herum, das Essen ist überwiegend russisch, das Ambiente traditionell und fein, mit Porzellangeschirr und Kronleuchter. Hier will sich die russisch-deutsche Performancegruppe Sado Opera zum Interview treffen. Ausgerechnet, muss man wohl sagen, denn Sado Opera scheinen mit ihrer Mischung aus Electro-Punk und Synthie-Pop, aus Netzstrümpfen und Kiss-Make-up, so gar nicht in den gutbürgerlichen Prenzlauer Berg zu passen. Aber so funktionieren eben die von Sado Opera getriggerten Klischeevorstellungen: „Menschen lieben es, etwas in kleine Kisten zu packen. Das ist so bequem. Aber du musst dich zwingen, deine eigenen Grenzen zu überschreiten. Dabei wollen wir helfen“, sagt der Kopf von Sado Opera, Künstlername „Herr Oberst“, auf Englisch – und lobt die süßlich-melancholische Atmosphäre, während er russischen Tee trinkt.
Herr Oberst hatte wenige Minuten zuvor seinen großen Auftritt: Er ist mit dem Taxi vorgefahren und präsentiert sich in komplettem Bühnenoutfit: weiß-schwarz geschminktes Gesicht, lange dunkle Haare, darüber eine Kapitänsmütze, ein auffälliger Anzug. Restaurantgäste verdrehen den Kopf, tuscheln, fotografieren mehr oder weniger heimlich – wer das wohl ist? Herr Oberst tut so, als nähme er das alles gar nicht wahr, denn so macht das ein Künstler, der sich seiner Rolle bewusst ist – und ein Star in seiner Welt. Die Kellner wickelt Herr Oberst mit Freundlichkeit um den Finger, den Reporter mit Komplimenten, prompt fühlen sich alle, als wären sie Teil einer gelungenen Szene. Mitgebracht hat Herr Oberst an diesem lauen Sommerabend seine Bandkollegin. Auch sie will ihr genaues Alter, ihren bürgerlichen Namen nicht verraten, nennt sich „Magic Doll“. Einiges aber bekommt man doch heraus: „Wir sind in den Achtzigern geboren, damals hieß unsere Heimatstadt St. Petersburg noch Leningrad. Sado Opera ist ein von uns geschaffenes Märchen. Ein schönes, interessantes, sehr lebendiges Märchen, das Geheimnisvolle gehört zu unserer Aura.“
Sado Opera gibt es seit einigen Jahren, so ganz genau lässt sich nicht sagen, wann aus einer losen Idee mit homosexuellem Anstrich ein handfestes Konzept wurde. Zuerst traten Herr Oberst und seine Mitstreiter in Clubs in St. Petersburg auf, seit drei Jahren wohnen er und Magic Doll in Berlin, besitzen Künstlervisa und haben ihre Gruppe mit zwei Deutschen verstärkt, die zwar nicht beim Gespräch dabei sind, aber die man im offiziellen Video zum Sado-Opera-Song „Kissing the Gay Guy“ bestaunen kann: „Wild Man“, ein kräftiger Mann mit freiem Oberkörper. Und „Mr Adolf“, der seinem Namen entsprechend aussieht, mit aufgemaltem schwarzen, gescheitelten Haar, mit dem bekannten Schnurrbart. Ist Sado Opera also eine Band, die die Provokation liebt? Es steckt sehr viel mehr dahinter, sagt Herr Oberst: „Wenn man ihn ansieht, dann denken die einen an Adolf Hitler. Wer ein bisschen weiterdenkt, fühlt sich an Charlie Chaplin erinnert. Aber es geht hier nicht ums Äußere, was klar wird, sobald der friedensliebende Mr. Adolf die Regenbogenfahne schwenkt und eine Schwarze küsst.“ Anderthalb Stunden sprechen die Musiker über sich, über ihre wilden Auftritte als Hausband im Club „Wilde Renate“, über ihren „Sado Palace“, wo schon mal Orgien gefeiert werden, über ihr „Sado Mobil“, ein Auto, bei dem unklar bleibt, ob es besonders toll oder besonders trashig ist, über vergangene Interviews, bei denen sich die Journalisten gemeinsam mit der Band ausziehen mussten. Das Leben ist ein großes Spiel, so die Botschaft der beiden, bei dem man unter keinen Umständen langweilen dürfe. Musikalisch sieht das bei Sado Opera, die bisher nur wenige Songs auf Soundcloud veröffentlicht haben, dann so aus: Elektronische Sounds treffen auf Gitarren, Electro-Punk lässt grüßen, auch wenn „Kissing The Gay Guy“ eine lupenreine Electro-Popnummer ist. Aber die Band ist ja weit mehr als nur Musik, es geht, so Herr Oberst, um das Spektakel, um die Verbindung von theatralischen und lustigen Elementen, um das Erzeugen von Energie und Dynamik: „Super Entertaining! Unterhaltung auf jeder Ebene! Sexuell aufgeladen! Aber was heißt das schon? Eine Tina-Turner-Show hat das auch alles!“ Tina Turner ist allerdings nicht die erste Referenz, die einem zu diesem russisch-deutschen Performance-Künstlerkollektiv einfällt: eine Mischung aus Kiss und Army Of Lovers heißt es immer wieder. Kiss wegen der schwarz-weißen Gesichtsbemalung, die Army Of Lovers, eine schwedische Popgruppe („Crucified“), wegen der Lust an barocken Kostümen, der Dramatik und der gleichzeitig hochstylishen wie angekitschten Videos. Die Ästhetik der Vergangenheit trifft auf den Sound von heute. „Wir sind genauso kinky und queer wie die, wir nehmen uns selbst nicht so ernst“, sagt Magic Doll, „aber das sollte man nicht verwechseln mit Albernheit und Oberflächlichkeit.“ Sado Opera haben viel zu sagen. Sie spielen mit den Geschlechterrollen und der Sexualität, wollen sich nicht festlegen, stellen Grenzen infrage und beschreiten den schmalen Grat zwischen lustig und vulgär: „Es geht uns nicht nur um die Rechte der Homosexuellen oder der Frauen, uns geht es um die Menschenrechte. Aber wie bringt man so etwas rüber? Wir können Ideen in kleine Witze verpacken und als Zuhörer nimmt man dann entweder nur den Witz wahr oder beschäftigt sich sehr viel tiefer mit unseren Gedanken.“ Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Tiefgang und Unterhaltung, die Sado Opera spannend macht und sie im Club so gut funktionieren lässt. Vielleicht ist es aber auch das Russische. Mit der großen Community in Berlin haben Herr Oberst und Magic Doll trotzdem nicht so viel zu tun: „Ganz ehrlich: Aus welchem Kulturkreis jemand kommt, was er für ein Geschlecht hat, welche Nationalität, das alles spielt für uns keine Rolle. Wir wollen nicht zu einer Gruppe gehören, die sich über ihre Herkunft definiert. Das passt auch nicht zu Berlin. Hier kommen so viele Menschen aus allen Ecken der Welt zusammen, mit so vielen unterschiedlichen Geschichten, das macht die Stadt so toll.“ Wie gesagt: Sado Opera haben im Salon zur Wilden Renate eine Art zweites Wohnzimmer gefunden, dort spielen sie regelmäßig in verschiedenen Konstellationen und mit immer neuen Konzepten und Choreografien. Ein Teil der Berliner Feiergesellschaft also. Umso bemerkenswerter – wenn es denn stimmt – ist die oberste Regel in dieser sonst so regelarmen Truppe: keine Drogen, kein Alkohol, nicht einmal Kaffee vor einem Auftritt. Absolut nüchtern könne man sehr viel besser auf das Publikum und seine Wünsche eingehen, „natural energy“ nennt das Herr Oberst, der sich selbst als Perfektionist sieht. Absolut nüchtern? Das sind überraschend neue Töne in Berlins Musiklandschaft.
Sado Opera gibt es seit einigen Jahren, so ganz genau lässt sich nicht sagen, wann aus einer losen Idee mit homosexuellem Anstrich ein handfestes Konzept wurde. Zuerst traten Herr Oberst und seine Mitstreiter in Clubs in St. Petersburg auf, seit drei Jahren wohnen er und Magic Doll in Berlin, besitzen Künstlervisa und haben ihre Gruppe mit zwei Deutschen verstärkt, die zwar nicht beim Gespräch dabei sind, aber die man im offiziellen Video zum Sado-Opera-Song „Kissing the Gay Guy“ bestaunen kann: „Wild Man“, ein kräftiger Mann mit freiem Oberkörper. Und „Mr Adolf“, der seinem Namen entsprechend aussieht, mit aufgemaltem schwarzen, gescheitelten Haar, mit dem bekannten Schnurrbart. Ist Sado Opera also eine Band, die die Provokation liebt? Es steckt sehr viel mehr dahinter, sagt Herr Oberst: „Wenn man ihn ansieht, dann denken die einen an Adolf Hitler. Wer ein bisschen weiterdenkt, fühlt sich an Charlie Chaplin erinnert. Aber es geht hier nicht ums Äußere, was klar wird, sobald der friedensliebende Mr. Adolf die Regenbogenfahne schwenkt und eine Schwarze küsst.“ Anderthalb Stunden sprechen die Musiker über sich, über ihre wilden Auftritte als Hausband im Club „Wilde Renate“, über ihren „Sado Palace“, wo schon mal Orgien gefeiert werden, über ihr „Sado Mobil“, ein Auto, bei dem unklar bleibt, ob es besonders toll oder besonders trashig ist, über vergangene Interviews, bei denen sich die Journalisten gemeinsam mit der Band ausziehen mussten. Das Leben ist ein großes Spiel, so die Botschaft der beiden, bei dem man unter keinen Umständen langweilen dürfe. Musikalisch sieht das bei Sado Opera, die bisher nur wenige Songs auf Soundcloud veröffentlicht haben, dann so aus: Elektronische Sounds treffen auf Gitarren, Electro-Punk lässt grüßen, auch wenn „Kissing The Gay Guy“ eine lupenreine Electro-Popnummer ist. Aber die Band ist ja weit mehr als nur Musik, es geht, so Herr Oberst, um das Spektakel, um die Verbindung von theatralischen und lustigen Elementen, um das Erzeugen von Energie und Dynamik: „Super Entertaining! Unterhaltung auf jeder Ebene! Sexuell aufgeladen! Aber was heißt das schon? Eine Tina-Turner-Show hat das auch alles!“ Tina Turner ist allerdings nicht die erste Referenz, die einem zu diesem russisch-deutschen Performance-Künstlerkollektiv einfällt: eine Mischung aus Kiss und Army Of Lovers heißt es immer wieder. Kiss wegen der schwarz-weißen Gesichtsbemalung, die Army Of Lovers, eine schwedische Popgruppe („Crucified“), wegen der Lust an barocken Kostümen, der Dramatik und der gleichzeitig hochstylishen wie angekitschten Videos. Die Ästhetik der Vergangenheit trifft auf den Sound von heute. „Wir sind genauso kinky und queer wie die, wir nehmen uns selbst nicht so ernst“, sagt Magic Doll, „aber das sollte man nicht verwechseln mit Albernheit und Oberflächlichkeit.“ Sado Opera haben viel zu sagen. Sie spielen mit den Geschlechterrollen und der Sexualität, wollen sich nicht festlegen, stellen Grenzen infrage und beschreiten den schmalen Grat zwischen lustig und vulgär: „Es geht uns nicht nur um die Rechte der Homosexuellen oder der Frauen, uns geht es um die Menschenrechte. Aber wie bringt man so etwas rüber? Wir können Ideen in kleine Witze verpacken und als Zuhörer nimmt man dann entweder nur den Witz wahr oder beschäftigt sich sehr viel tiefer mit unseren Gedanken.“ Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Tiefgang und Unterhaltung, die Sado Opera spannend macht und sie im Club so gut funktionieren lässt. Vielleicht ist es aber auch das Russische. Mit der großen Community in Berlin haben Herr Oberst und Magic Doll trotzdem nicht so viel zu tun: „Ganz ehrlich: Aus welchem Kulturkreis jemand kommt, was er für ein Geschlecht hat, welche Nationalität, das alles spielt für uns keine Rolle. Wir wollen nicht zu einer Gruppe gehören, die sich über ihre Herkunft definiert. Das passt auch nicht zu Berlin. Hier kommen so viele Menschen aus allen Ecken der Welt zusammen, mit so vielen unterschiedlichen Geschichten, das macht die Stadt so toll.“ Wie gesagt: Sado Opera haben im Salon zur Wilden Renate eine Art zweites Wohnzimmer gefunden, dort spielen sie regelmäßig in verschiedenen Konstellationen und mit immer neuen Konzepten und Choreografien. Ein Teil der Berliner Feiergesellschaft also. Umso bemerkenswerter – wenn es denn stimmt – ist die oberste Regel in dieser sonst so regelarmen Truppe: keine Drogen, kein Alkohol, nicht einmal Kaffee vor einem Auftritt. Absolut nüchtern könne man sehr viel besser auf das Publikum und seine Wünsche eingehen, „natural energy“ nennt das Herr Oberst, der sich selbst als Perfektionist sieht. Absolut nüchtern? Das sind überraschend neue Töne in Berlins Musiklandschaft.