80s-Revival Revisited

Flower
Den Tod von Amy Winehouse einmal beiseite gelassen, gab es 2011 in der Musik vor allem ein Thema: die Retrofixiertheit der Popmusik. Auslöser der Debatte: Der Musikjournalist Simon Reynolds mit seinem Buch „Retromania“. Darin beklagt er, dass der Popmusik das Vorwärtsmoment, das Progressive abhanden gekommen sei und sich viele Musiker nichts neues mehr einfallen ließen, sondern nur noch die Vergangenheit zitierten oder kopierten. Und woran kann man das vielleicht am besten sehen? Am endlos scheinenden 80er Revival:
Das Absurdeste am 80er-Revival? Dass es jetzt schon länger andauert als die 80er selbst. Aber es gibt ja auch so viel zu erinnern und so viel zu zitieren und zu kopieren und noch mehr, was darauf wartet, zu Ende erzählt zu werden, selbst wenn man die Mode und die Kunst aussen vor lässt und sich nur auf die Musik beschränkt: Post-Punk und Synthie-Musik, Electro Funk und Italo Disco, New und Dark Wave, Dream-Pop und Neue Deutsche Welle – weite Felder, die ausgiebig beackert werden können.
Ohne das wissenschaftlich untermauern zu können: Jedes der letzten Jahrzehnte schaute musikalisch nicht nur nach vorne, sondern auch zurück und entwickelte dabei besondere Vorlieben: In den 70ern flirtete man noch einmal neu und verklärend mit den 50s. In den 80ern liebäugelte man ein wenig mit den 60ern, die 90er interessierten sich für die 70er Jahre. Am Ende der 90er geschah dann das, was erwartbar war: Electropop im 80er-Jahre-Stil spielte wieder eine Rolle, nach und nach begeisterten sich immer mehr für die schon erwähnten Spielarten. Wir sind Helden und The Rapture, Franz Ferdinand und die Editors … nur eine Handvoll von Bands, die sich in den letzten Jahren an der 8 und der 0 orientierten und die für hunderte andere stehen. Warum hört es nicht auf, dieses Interesse an den 80ern? Piet Blank, ein Teil des Electronic-Duos Blank & Jones, gibt mit seinem Partner eine ziemlich erfolgreiche CD-Reihe namens „So 80s“ heraus – darauf finden sich Songs aus den 80ern in langen Maxi-Single-Versionen:
„Die 80er, die Musik, die dort gemacht wurde, da konnte man sich mit identifizieren. Man hatte das Gefühl, dass sie was Neues machen. Man wusste auch nicht so viel über die Bands, aber dadurch hat man sich selber viel hineininterpretiert und konnte sich ganz anders seine Helden zurecht bauen.“
Wie gesagt: Vor über zehn Jahren ging es los mit dem 80er-Jahre-Revival – die Vermutung liegt nahe, dass da jemand seine eigene musikalische Vergangenheit, seine Sozialisation aufarbeitete. Jetzt, eine Generation später, sieht das anders aus: Die Musiker von heute, die jetzt Mitte 20 sind, kennen die 80er gar nicht mehr aus eigener Erfahrung. Aber hier kommt auch das Internet ins Spiel: In den 80ern sind zum ersten Mal im großen Stil Filmaufnahmen der Musiker gemacht worden – Musikvideos– und dank solch riesiger Datenbanken wie Youtube kann sich jeder ansehen, was damals passierte. Auch das beeinflusst – oder wie erklären sich sonst Stimmähnlichkeiten wie die von Ian Curtis, dem Sänger von Joy Division, der sich 1980 umbrachte, und Tom Smith, dem Frontmann der Editors?
„In den 80er Jahren hatte Popmusik ein anderes Standing. Die Bands standen für eine eigene Haltung. Es gab die ganzen Jugendkulturen, wo man sich ja auch optisch absetzen wollte und das ganze funktionierte über die Musik. In den 90ern abgeschwächt, weil Popmusik entmystifiziert wurde.“ Piet Blank, der Macher der So80s-CD-Reihe, ist auch schon 40 Jahre alt. Für ihn dürfte das gleiche gelten wie für alle anderen, die im 80s-Revival der letzten Jahre ihre eigene Jugendzeit neu verhandelt sehen: Die 80er, wie sie durch die Brille von heute gesehen werden, haben nur bedingt etwas mit den selbst erlebten 80ern zu tun. Das liegt daran, dass das 80er-Jahre-Revival eigentlich gar kein echtes Revival ist. Sondern eher einer aus Schrottteilen zusammengebauten Installation gleicht – zusammengesetzt aus relativ willkürlich ausgesuchten Fragmenten einer vrgangenen Zeit – und zwar von Musikern, deren ästhetisches Bewusstsein zumindest zum Teil von den 80ern mitbestimmt wurde, die aber kritisch, ironisch und manchmal auch respektlos die Vergangenheit verwursten. Noch mal Piet Blank: „Ich glaube, dass die 80er in den Medien oder auch von den Kritikern ein massiv unterschätztes Jahrzehnt waren, was die musikalische Kreativität angeht. Man hätte das gerne auf die Äußerlichkeiten reduzierten. Adam Ant, Duran Aber das war ja nur Teil der Philosophie – für mich ist Duran Duran eine der großartigsten Popbands.“
Es geht dabei auch um eine Deutungshoheit über die 80er: Das waren eben nicht nur Karotten-Jeans, Schulterpolster, Popperlocke und Zauberwürfel, wie uns das TV-Shows wie „Die größten Hits der 80er“ weismachen wollen. Sondern viel, viel mehr. Mit zum Teil unglaublich guter Musik. Schlechter natürlich auch, aber weil damals alles so schnell ging, auch mit den musikalischen Moden, konnte ein Teil der damals abrupt beendeten Geschichten zu Ende oder zumindest weitererzählt werden. Der Tod des 80er-Revivals wurde schon öfter verkündetet – zu früh. Denn auch wenn seit ein paar Jahren die 90er ausgeschlachtet werden: Da kommen noch mehr 80er – in welcher Form auch immer. Bestimmt.