Detroit !!!

Themenwoche hört sich vielleicht nicht so sexy an, aber letztendlich ist es ja das Thema selbst, das so eine Themenwoche interessant oder langweilig werden lässt. ByteFM, der Sender meines Vertrauens, schaut eine Woche lang in eine Stadt, die gerne auch als sterbende Großstadt bezeichnet wird (zum Beispiel von mir), nach Detroit. Begleitend zur Sendung, die ich über die Techno-Szene Detroits mache, hier ein laaaaaaaaaanger Artikel über meine Trips in die Stadt, über die Erfindung von Techno, über das Techno-Museum, über Jeff Mills und Blake Baxter und Juan Atkins und Derrick May und wie sie nicht alle heißen. Apropos heißen: Heiße Fotos gibt es natürlich auch dazu.
Wann ich das erste Mal von Detroit gehört habe? Vielleicht war es vor Jahrzehnten in der Schule, vielleicht fiel mir der Name in einer der Karten im Atlas auf. Vielleicht war es auch in den Nachrichten, obwohl mir das eher unwahrscheinlich vorkommt. Denn wenn was in den USA passierte, dann war das doch in New York, in L.A., in Washington – oder vielleicht in Memphis, als Elvis starb.
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Ich weiß aber noch ziemlich genau, wann ich mich das erste Mal BEWUSST mit Detroit beschäftigte: 1991. In Berlin gab es seit kurzem einen neuen Club, den „Tresor“. Dort lief diese Musik, die so neu und frisch und krass war, dass sie mich wegfegte. Techno. Aufgelegt von DJs, die ich noch nicht kannte, deren Namen mir nichts sagten: Tanith, Rok, Jonzon. Und dann, als ich zum dritten Mal dort war, hieß es: Heute legt einer aus Detroit auf. Vielleicht verkläre ich das im Nachhinein ein wenig, aber wie dieses Wort “Detroit“ ausgesprochen wurde! Irgendwie ehrfürchtig. Dass Detroit die Geburtsstadt des Techno war? Wusste ich nicht, ich dachte, „wir“ hätten ihn gerade irgendwie selbst erfunden.

Quer durch Detroit

Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, wen ich da zuerst im „Tresor“ gesehen und gehört hatte. Ich glaube, es war Blake Baxter, sicher bin ich mir nicht. Wie die anderen, die folgten – Eddie „Flashin’ Fowlkes, Jeff Mills, Derrick May – gut an den Plattenspielern, ein wenig älter als die meisten der Tresor-Besucher. Die Party war dann nicht ganz so euphorisch, wie ich es mir bei einem Detroiter - Detroit! – ausgemalt hatte. Eine Legende sorgt eben nicht automatisch für die ausgelassenste Stimmung auf dem Tanzflur. Und seine Musik war gar nicht so sehr der Techno, den ich kannte (wobei man dazu sagen muss, dass ich da noch gar nicht viel kannte, nur die „Hits“, die bei einer gewissen Moni D alias Monika Dietl im damaligen SFB-Sender Radio 4 U liefen.
Wenig später meine erste Reise in die USA und Kanada, zwei Monate mit dem Bus quer durchs Land, von Ost- zur Westküste und wieder zurück. Mittendrin, von Toronto nach Chicago, ein Stopp in Detroit mit einigen Stunden Aufenthalt. Der Busbahnhof, so kam es mir vor, lag mitten im Bürgerkriegsgebiet: Kein Mensch mehr auf den Straßen, obwohl es gerade erst dunkel wurde. Die Häuser und Geschäfte verrammelt, kaputt, verlassen. Und schon im Bus, später auch im Bahnhof, warnten mich Amerikaner: „Nicht rausgehen! Detroit ist gefährlich! „So sehr ich auch wollte: irgendwie machte mir das Angst. Und von da ab war Detroit für mich die Stadt, aus der großartige Musik kam, in der man aber nicht auf die Straße gehen kann, ohne erschossen zu werden. Oder zumindest ausgeraubt.

The Techno Alliance

Detroit und Berlin, so hieß es immer im „Tresor“-Umfeld, gehörten irgendwie zusammen. „Techno-Alliance“ wurde auf die T-Shirts gedruckt. Da wie dort gab es diese verfallenen, leer stehenden Häuser, die alten Fabriken und Werkshallen. Und da wie dort begeisterte man sich für Techno, Musik, die futuristisch und industriell und hart klang. Aber war das wirklich so? Techno ist in den USA noch nie ein großes Ding gewesen, auch nicht in Detroit. Kein Massenphänomen, keine Love Parade in Sicht, die Clubszene überschaubar. Und während in Detroit die Stadt weiter verfiel, wurde in Berlin der Nachwende-Aufbau eingeleitet. Arbeitslos in Mitte? Nicht ganz dasselbe wie arbeitslos in Downtown Detroit.
Sie ist schon diverse Male erzählt worden, die Geschichte, wie es mit Techno in Detroit losging. Aber selbst ich, der sie schon zig Mal gehört, nachgelesen und selbst erzählt hat, kann sie mir nicht wirklich merken. Also hier noch mal die Eckdaten: Als sie Mitte der 80er anfingen, in Detroit Techno zu produzieren, haben die Macher versucht, musikalisch auf ihre Umgebung zu reagieren – auf Detroit als Industriestadt, als Autofabrikzentrum, in der Roboter große Teile der Produktion übernommen haben. Und auf Detroit als Stadt, in der das Zentrum nach und nach zerfällt. Dabei packten sie in ihre elektronischen Instrumente eine Art neuartigen Soul, vor allem dank der streichermäßig eingesetzten Synthie-Flächen.
Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May – die „Belleville Three“, die sich an der Belleville High School kennengelernt hatten. Durch die Verschmelzung verschiedener Stile von Soul über Synthie-Pop bis zum Electro-Funk schufen sie den Detroiter Techno-Sound, inspiriert durch die Detroiter Radiolegende Charles Johnson alias The Electrifying Mojo, der in seinen Sendungen englischen Synthiepop, P-Funk und Kraftwerk gespielt und damit unbeabsichtigt bewirkt haben soll, dass sich in Detroit viele für elektronische Musik interessierten. Juan Atkins hatte schon 1984 als Teil des Duos Cybotron die Platte „Techno City“ veröffentlicht.
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Auf die Frage, was das für Musik sein, antwortete er im Interview: „Call it techno“. Kevin Saunderson machte als Inner City Chart-Hits wie „Good Life“ und „Big Fun“. Später kamen die anderen dazu, Joey Beltram, Robert Hood, Eddie Flashin Fowlkes, die ganze Underground-Resistance-Posse um Mad Mike Banks und Jeff Mills, die im Monat, als die Mauer fiel, UR als Musikprojekt und später auch Plattenlabel gründeten. Mills und Banks trennten sich wenig später, aber Banks macht bis heute mit UR weiter, vertritt radikale politischen und geschäftlichen Ansichten, ihm ist es wichtig, dass die Käufer der Musikveröffentlichungen die dahintersteckende Philosophie sowie Techno als Kunstform anstatt reiner Musik begreifen.

Underground vs. Kommerz

Legendär sein Streit zunächst mit Sony Music dann mit der BMG, als die im von Underground Resistance veröffentlichten Song „Jaguar“ einen Hit sahen, Trance-Remixe davon rausbringen wollten, aber von UR keine Lizenz bekamen. Was tat Sony? Ließ den Song Ton für Ton nachspielen (das ist auch ohne Erlaubnis des Originalkünstlers erlaubt) und von dieser Coverversion Trance-Remixe anfertigen. Als der Entrüstungssturm in der für kurze Zeit sichtbaren Techno-Community losging, machte Sony einen Rückzieher, die BMG hatte diese Skrupel aber nicht und brachte das ganze raus. Allerdings, so weit ich weiß, ohne großen finanziellen Erfolg.
Zurück nach Detroit, zu den Anfangsjahren: Blake Baxter kam dazu, der die erste EP bei Underground Resistance veröffentlichte, wurde 1991 bei Tresor Records unter Vertrag genommen wurde. Seinen „Ehrentitel“ Prince of Techno kann er heute nicht mehr hören. Richie Hawtin, nicht aus Detroit, aber aus dem direkt daneben gelegenen kanadischen Windsor, und sein Projekt F.U.S.E. gehörten irgendwann zur Detroiter Techno-Szene. Und natürlich der bis heute so relevante Carl Craig.
Damit wären wir auch schon in der Gegenwart: Detroit ist gerade Thema. Vielleicht, weil man hier sehen kann, was passiert, wenn eine Stadt aufgegeben wird oder sich selbst aufgibt. Hendrik Lakeberg hat in der aktuellen De:Bug in seiner Rubrik „Durch die Nacht“ seinen Trip nach Detroit beschrieben. Techno, so stellt er fest, spielt dort fast gar keine Rolle mehr. Taxifahrer, die sich eigentlich auskennen müssten, kennen Jeff Mills nicht und wussten auch mit der Musik nichts anzufangen.
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Und noch einmal: in Detroit

Das deckt sich so halb mit meinem zweiten Besuch in Detroit. 2006 oder 2007 war ich noch einmal da. Tagsüber. Mit dem Auto. Begleitet von „best mate“ Gesine Kühne. Wir kamen aus Kanada und der Bruch zwischen Windsor auf der einen und Detroit auf der anderen Seite, getrennt nur durch eine Brücke, war krass. Detroit erschien uns wirklich wie ein sterbender Riese. Tote Straßenzüge und tote Häuser. Ich verriegelte den Wagen von innen, sobald wir die Stadtgrenze erreicht hatten, halb im Scherz, halb im Ernst. An einer Tankstelle, die wieder extrem verrammelt war, fragten wir nach dem Weg zum Technomuseum, das gleichzeitig Sitz des Plattenlabels/-vertriebs „Submerge“ ist. Ein schwarzer Detroiter sagte, wir sollten ihm hinterher fahren. Extrem freundlich, fast schon zu freundlich. Er wusste zwar nicht, was das sein sollte – Technomuseum? – aber die Adresse kannte er.
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Diesmal besiegte die Neugierde das Misstrauen: Submerge und das Technomuseum sitzen in einem nicht besonders schmucken Haus, man muss klingeln, um reinzukommen. In ein paar Schaukästen die Originalkisten: Roland 303, 808, 909. Fotos. Ein paar Zeichnungen. Das war’s. Im Keller dann der Plattenladen. Plattenspieler. Und jede Menge Sprüche und Namen und Namen aus aller Welt an den Wänden und Decken: Die globale Techno-Community, falls es sie denn gibt, hat sich hier mit Edding und Kugelschreiber verewigt. An diesem schmucklosen Ort wird es einem noch mal bewusst: Wenn es Detroit nicht gegeben hätte, dann sähe die Musikszene wohl völlig anders aus. Dann gäbe es keinen Techno. Ich habe meinen Namen dann auch dazu geschrieben.
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