Die elektronische One-Man-Band

Na das kann ja heiter werden! Kaum sind die ersten Sätze mit Justus Köhncke gewechselt, ist klar, worüber der Produzent und DJ alles nicht reden will: die GEMA, Musik-Streamingdienste, das Alter – alles langweilig! Und bei der Frage, seit wann genau er denn in Berlin lebt, kontert er: „Ah, Lokalbezug einbauen! Klar, Tagesspiegel.“ Typisch Köhncke! Es wird dann wirklich heiter, zum Glück anders als befürchtet. Die anderthalb Stunden Interview bei Bier und Zigarette gehen schnell vorüber, denn mit Justus Köhncke kann man dann doch über alles reden. Hinter seiner ungewöhnlichen, am Anfang störrisch erscheinenden Art verbirgt sich ein unsicherer Mensch und ein selbstbewusster Künstler. Oder ist es umgekehrt?
Vor wenigen Tagen ist Justus Köhncke 47 Jahre alt geworden, seit drei Jahren wohnt er in der Hauptstadt und zwar genau dort, wo gerade am meisten los ist, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, einen Steinwurf vom Kottbusser Tor entfernt. Nicht, dass er dort mit Absicht hingezogen wäre. „Nein, das war Zufall“, er wusste ja gar nicht groß was von richtiger oder falscher Gegend. Typisch Köhncke!
Aber jetzt ist er hier, sitzt in einem seiner Lieblingscafés und fühlt sich ganz wohl. Vor einigen Wochen ist, fünf Jahre nach dem letzten, sein neues Album erschienen: „Justus Köhncke & The Wonderful Frequency Band“. Ein Blick aufs Plattencover verrät sofort, wer diese wundervolle Band ist: Er selbst, eine Art elektronische One-Man-Band, mit dicker Pauke auf dem Rücken, den Synthesizer wie eine Art Schiffermannsklavier im Arm, kurzgeschorene Haare, Sieben-Tage-Bart und Brille – Beat und Melodie und Stil eben.
„The Wonderful Frequency Band“ ist eine schöne und leicht schräge Platte, auf der der geborene Gießener all das, was in den letzten 20, 25 Jahre sein musikalisches Leben bestimmt hat, noch einmal neu zusammenrührt: House, Techno, Synthiepop, darüber, wie Trockeneisnebel, eine mal mehr, mal weniger dicke Schicht Disco. Von allem ein bisschen. Denn Leute, die sich nur für Musik oder sogar ausschließlich für ein Genre interessieren, findet Köhncke furchtbar! Ihn interessierten auch Schlagerphänomene wie Helene Fischer und Andrea Berg. Typisch Köhncke!
Vielleicht singt er deshalb auch wieder. Meist deutsche Texte, die zwischen skurril und schlagermäßig (als wäre das ein Unterschied!) hin- und herpendeln. Eigentlich war er damit schon lange durch, er hatte vor Jahren mit den deutschen Liedern aufgehört, als Bands wie „Juli“ und „Silbermond“ und „Wir sind Helden“ damit große Erfolge feierten: „Ich hatte den Eindruck, dass niemand im Club das brauchte. Und man will die Leute ja auch nicht foltern. Einfühlsame deutsche Poptexte waren ein verseuchtes Gebiet, mit dem ich gar nichts mehr zu tun haben wollte. Aber jetzt habe ich wieder Lust, skurrile kleine deutschsprachige Botschaften auf elektronische Popmusik oder sogar Clubtracks zu tun!“
„Loop“ ist ein solches Stück: „Du bist so schön wie eine Umlaufbahn in deiner Wiederkehr, drum lieb ich dich so sehr“ singt er da auf einen blubbernden Acid-House-Beat, der sich schleifenartig – Loop! – wiederholt. Neue Worte für das größte Gefühl der Welt, eine Botschaft an einen wichtigen Menschen? „Nein, das ist tatsächlich eine Liebeserklärung an den Loop!“ Ursprünglich sollte das ganze Album aus Liebeserklärungen an abstrakte Dinge bestehen. Aber es sind dann doch nur zwei übrig geblieben: die Ode an den Loop. Und eine an das Selbstgespräch.
Das mag sich aufgeschrieben und ohne die Musik dahinter sehr viel schräger lesen, als es in Wirklichkeit ist. Justus Köhncke weist auch die Frage, ob die Texte eventuell gar nicht so wichtig seien, entschieden zurück: „Im Gegenteil, die Texte sind die Hauptarbeit!“ Und die Stimme, die gewohnt sanft und wohlklingend diese Texte singt? Die Stimme, durch die sich eine Radiomoderatorin gerade erst wieder an die Puhdys erinnert fühlte? Justus Köhncke steckt solche Aussagen weg, aber ganz leicht fällt ihm das nicht: „Es ist immer wieder eine Mutprobe, ich bin ja nicht Chaka Khan. Früher habe ich mich hinter Effekten versteckt, jetzt orientiere ich mich an Neil Tennant.“
Der schwule Sänger der Pet Shop Boys würde die Songs vom schwulen Justus Köhncke wohl als „tongue-in-cheek“ bezeichnen: clevere, nicht ganz ernst gemeinte Lieder. Auf die Frage, warum House Music gut zu schwul passt, sagte Justus Köhncke einmal: „Weil die Bassdrum die Sehnsucht verkörpert. Und natürlich, weil House direkt von Disco abstammt, dem ersten genuin schwulen Phänomen der gesamten Popgeschichte.”
„Flitter und Tand“, der Opener des Albums, setzt denn auch gleich den Ton für das ganze Album. Gekonnt, ein bisschen kitschig, humorvoll, eingängig. Das ist, wenn man sich die Berliner Elektronic-Szene anschaut, angenehm anders. Humor ist in Hauptstadt-Technokreisen rar gesät, und man muss schon lange tanzen, um einen DJ mit etwas Selbstironie zu erleben. Köhncke brauchte denn auch eine Weile, um in Berlin seinen Platz zu finden. Als er vor drei Jahren nach Kreuzkölln zog, kam ihm die Stadt, vor allem das Clubgeschäft wie „eine Schlangengrube“ vor, „infarkthaft voll“ von unglaublich talentierten, den Erfolg suchenden Musikern: „Als sich rumsprach, dass ich jetzt in Berlin wohne, kriegte ich mehr Angebote. Klar, sparen sie ja auch Hotel und Reisekosten. Aber auch viel zu niedrige Angebote. Und wenn ich dann was sage, heißt es: ich dachte, es geht um Inhalte, nicht um Kommerz?“
Aber natürlich geht es bei einem Musiker wie Justus Köhncke um beides. Als Teil des Trios „Whirlpool Productions“ hatte er in den 90ern Erfolg in den Charts, mit der bis heute großartigen Hymne „From Disco to Disco“ landeten er und seine Mitstreiter Hans Nieswandt und Eric D. Clark sogar ganz oben in der Hitparade – nicht in Deutschland, aber in Italien. Von der bizarren Erfahrung, als Popstar gefeiert und verehrt zu werden, zehrt er bis heute.
Und auch wenn mittlerweile ein neues Album eine ganz andere Funktion als damals hat – „in den 90ern trat man auf, um seine Platte zu promoten, heute macht man eine Platte, um Auftritte zu bekommen“ – ist „The Wonderful Frequency Band“ nicht einfach nur Kalkül oder Mittel zum Zweck: „Ich bin da vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich will, selbst wenn man es mit dem Holzhammer reinprügeln muss, dass ein Album ein Statement ist. Möglichst auch ein bisschen mutig oder so nach dem Motto: Was ist denn jetzt los?“ Kann er haben, diese Wonderful Frequency Band namens Justus Köhncke! Spätestens, wenn nach einer Stunde die letzten Takte des Albums, die letzten Noten von „Now That I Found You“ verklungen sind. Ein alter Popsong aus den 60ern im neuen Gewand. Schön, aber eben auch wieder schräg. Typisch Köhncke.