Polyhymnia Festival mit Kraut

Nachdenklich und seriös, so stellte sich die alten Griechen Polyhymnia vor, die Muse für Dichtung und Tanz. Kein schlechtes Vorbild, kein schlechter Name für ein Festival, das ein echtes Anliegen hat, so wie Polyhmymnia 2011.„Prog & Kraut to Rock the Crowd“ heißt es im Untertitel, man widmet sich Musik, die Mitte, Ende der 60er erfunden und in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde, dem Progressive und dem Krautrock.
Uninteressant sind solche Revivals immer dann, wenn der Ton der Originalbands möglichst exakt getroffen werden soll, spannend wird es, wenn Eigenes dazukommt, Neues. So wie bei „Zirkon“. Zirkon ist eine von acht Bands, die beim zweitägigen Polyhymnia-Festival spielen werden, alle vier Mitglieder wohnen in Berlin, auch wenn drei von ihnen ursprünglich aus England kommen. Ein echtes Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboard und Effekte, daraus zimmern Zirkon ihre Songs, die genau genommen gar keine Songs sind, denn aufs Singen verzichten die Vier.

Der Übungsraum von Zirkon liegt in einem Keller gleich an der Oberbaumbrücke, dort, wo sich Kreuzberg gerade neu erfindet bzw. von seinen amerikanischen, spanischen, englischen, italienischen, vorübergehenden Einwohnern neu erfunden wird. Ein feuchter, dunkler Keller, der einem klar macht: Neo-Krautrock ist nicht unbedingt das, worauf die kommerzielle Musik gewartet hat, damit wird auch im Jahr 2011 kein Geld verdient. Der Keller macht einem aber auch klar, dass Berlin für Musiker immer noch Außergewöhnliches bietet: Einen Übungsraum für wenig Geld in der zur Zeit turbulentesten Gegend der Stadt.

Joe Dilworth, Schlagzeuger von Zirkon, vor langer Zeit einmal Mitglied der britischen Band Stereolab, vor ebenso langer Zeit Freund von PJ Harvey, verdingt sich eigentlich als Fotograf. Tom Franklin, mit 31 der jüngste der Band, arbeitet wie Keyboarder Milo Smee in einem Callcenter. Und dann wäre da noch Florian Zweitnig, vielleicht von seiner anderen Band bekannt, der Mediengruppe Telekommander. Er ist der einzige Deutsche in der Band und der einzige, der nicht zum Interview erscheint.

Als „Motorik Acid Groove Drone“ bezeichnen Zirkon ihren Sound. Das liest sich komplizierter, als es eigentlich ist: Ein mit der Präzision einer Maschine geschlagenes Schlagzeug gibt den Takt vor, unterstützt von Bass und Gitarre, die elektronischen Effekte und Töne sorgen für einen modernen Anstrich. Das ist keine Musik von gestern, heute oder morgen, sondern hat etwas Zeitloses. Man macht, so beschreibt Milo Smee , „kalte, mathematische, mechanische Musik.“

Es ist kein Zufall, dass Zirkon vor allem aus Engländern besteht: John Peel, der legendäre englische Radio-DJ, soll den Begriff erfunden oder zumindest populär gemacht haben. Zuerst schwang dabei viel Ironie, wenn nicht sogar Häme mit – die „Krauts“, die Deutschen, versuchten zu rocken, aber es sah ganz so aus, als könnten sie das gar nicht. Doch was zunächst so amüsant schien, dieser westdeutsche Versuch, aus amerikanischen Psychedelic Rock, englischem Progressive, Neuer Musik, Jazz und elektronischer Experimentalmusik etwas Neues zu zimmern, wurde faszinierend. Bands, die zunächst belächelt wurden, galten als Trendsetter. Was genau Krautrock war? Alles mögliche wurde damals unter einen Hut gepackt, Hauptsache deutsch,rockig, anders. Bands wie Tangerine Dream oder Neu! , Amon Düül oder Kraan,. Selbst die Scorpions galten einigen mit ihrem Erstlingswerk als Krautrocker. Irgendwann wurde die repetitive Musik mit dem elektronischen Einschlag von niemandem so bewundert wie von den Engländern. Wohl auch deshalb hat Krautrock inzwischen nur noch wenig mit der Herkunft der Musik als vielmehr mit ihrer Art zu tun: Rockmusik muss psychedelisch und experimentell sein, elektronische Elementen aufweisen – fertig ist der Krautrock.

Seit Jahren nimmt das Interesse an Krautrock zu, in den USA, in England, in Frankreich – und auch in Deutschland. Der komplexe Aufbau der Stücke, die Auflösung von Songstrukturen, das Trackartige, das sich später auch die elektronische Tanzmusik, Techno und House zu Gute machten, fasziniert Bands. MIT aus Köln verdanken der Idee von Krautrock einiges, Radiohead coverten Can, Fujiya & Miyagi nennen Krautrock einen ihrer größten Einflüsse.

Und Zirkon? Vor einem Jahr hat man zusammengefunden, eine Woche nur blieb, um den ersten Auftritt vorzubereiten seitdem begreift man sich als „Work in Progress“. Die Mitglieder sind alt genug, um nicht der Illusion hinterherzulaufen, das „nächste große Ding“ werden zu wollen, sie sprechen von der Faszination, die der Sound bei ihnen auslöst, und man ist geneigt, das zu glauben. Auch der Bandname ergibt dann einen Sinn: Zirkon, der harte Kristall mit den klaren, mathematischen Strukturen, ein Produkt der Natur, das dennoch wie am Reißbrett konstruiert wirkt, geschrieben mit „K“, als kleinen Fingerzeig, wo die musikalische Inspiration herkommt: Aus Deutschland.

Emil Delikolder, der eigentlich Emil Bange heißt, Jahrgang 1967, hat sich als einer der beiden Veranstalter das Polyhymnia ausgedacht. Zirkon ist aus seiner Sicht eine der nostalgischeren Bands, die sein Festival zu bieten hat, er preist das krautige Schlagzeug und die obskuren Percussiongeräte an, verweist auf die starken 90er-Jahre-Einflüsse, die man auch bei Zirkon hören kann. Das Festival ist für ihn logische Folge dessen, dass es mehr und mehr Bands, auch junge Bands, gibt, die sich für diese Musik interessieren. Warum das so ist? „Weil die späten 60er und frühen 70er Jahre eine Zeit des Aufbruchs gewesen sind“, sagt Delikolder. „Krautrocker waren auch Hippies, aber keine Blumenkinder. Vielleicht sehnt man sich heute nach ihren gesellschaftlichen Utopien.“ Delikolders zweite Theorie: Musiker und mit ihnen die Zuhörer würden mittels der Klänge vor der Gegenwart fliehen und in eine andere Zeit eintauchen. Eine Podiumsdiskussion jedenfalls soll klären, ob Kraut und Prog schon im 21. Jahrhundert angekommen sind.

Spricht man mit Manfred Miersch, könnten einem daran leise Zweifel kommen. Miersch ist Teil von atelierTheremin, einer weiteren Band, die bei Polyhymnia auftreten wird, die erste und einzige Gruppe, die mit Original-Theremin spielt. Miersch ist ein Besessener in Sachen Kraut- und Progr-Rock, er sieht, wenn er auf dieses Genre blickt, ein weites, noch nicht zu Ende bearbeitetes Terrain. E-Musik und Neue Musik auf der einen Seite prallten auf Rockmusik auf der anderen Seite. Dann kam noch bezahlbare Synthesizertechnik dazu: „Da ist vieles noch nicht erzählt, da ist noch viel Patz für Neubearbeitungen und Experimente.“ Das mache das Genre auch heute noch so interessant. „Es ging für die Musiker von damals darum, sich von Konventionen abzusetzen, musikalischen und gesellschaftlichen.“ Ob das heute noch eine Rolle spielt? Ob Zirkon und Co. das hinbekommen? Polyhymnia, die ernsthafte Muse, wird es zeigen.


Polyhymnia, am 18. Und 19. März in der Maria am Ufer. Das genaue Programm findet sich hier.