Depeche Mode, die Meister des Schönhör-Pops

Flower
Wer in den 80ern jung war, wird sich vielleicht erinnern. Nein, nicht an Depeche Mode, von denen wird gleich noch die Rede sein, sondern an das „Riverboat“.. Eine Diskothek auf dem Dach eines Gebäudes am Fehrbelliner Platz in Berlin-Wilmersdorf und zwar eine mit verschiedenen Tanzflächen und DJs. Die Erinnerung ist schon ein bisschen verblasst, aber es gab dort verschiedene „Unter-Boote“, kleine Räume mit jeweils eigenem DJ und eigenem Stil: Black Music, Pop, Rock und wenn man ganz nach hinten durchging, dann landete man im „Mantic-Boot“. Hier trafen sich die so genannte New Romantics, Vor- oder Mitläufer der Gruftis, auf dem Weg von England nach Berlin hatten sich die scharfen Trennlinien zwischen diesen Jugendkulturen wohl ein wenig verwischt. Und immer, wenn Depeche Mode damals ein Album rausbrachten, herrschte Ausnahmestimmung im „Mantic-Boot“: die Musik wurde in den ersten Tagen danach rauf und runter gespielt, öfter als ohnehin.
Das Riverboat gibt es lange nicht mehr. Depeche Mode dagegen schon und das grenzt, aus damaliger Sicht, an ein Wunder.
Denn bereits nach dem Debütalbum 1981 gab es erste Auflösungserscheinungen, Vince Clarke verließ die Synthie-Band und mit ihm ging der ziemlich unbekümmerte Electro-Disco-Sound der Anfangszeit. Nach und nach zog Schwere in die Songs von Martin Gore, Dave Gahan, Andy Fletcher und (vorübergehend) Alan Wilder ein. Für die Band und ihre Fans ein echter Glücksgriff, denn nur so konnte man überhaupt gemeinsam überleben und größer werden und größer und größer. Und damit wären wir endlich auch im Jahr 2013 angelangt: Delta Machine heißt das neue, das 13. Werk der Band, die einst in der englischen Retortenstadt Basildon zusammenfand. 13 Songs finden sich auf der regulären CD, 17 auf der Deluxe-Variante. Und das kurze, ungeschönte Fazit nach dem ersten Hören: Dem Depeche-Mode-Kanon kann Delta Machine nur bedingt Neues hinzufügen – was bei drei Musikern am Beginn ihres sechsten Lebensjahrzehnts nicht unbedingt verwundert.
Aber ganz so einfach kann man eine Band, die seit 33 Jahren existiert, dann natürlich doch nicht abfrühstücken. Schon gar nicht in Deutschland, also in dem Land, das den Synthie-Poppern, die irgendwann die Gitarren für sich entdeckten, die Treue hält wie kein anderes. Es wäre ja auch es ziemlich unfair, schließlich widmen Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher ihren neuen Alben und der anschließenden Tour und dem daran anschließenden Erholen so viel Zeit, dass aus dem früheren „Ein-Album-pro-Jahr“ mittlerweile ein Vier-Jahres-Rhythmus geworden ist. Außerdem: Glücklich sei die Band, verrät Martin Gore im Interview, glücklicher als je zuvor. Und das ist ja mal eine Ansage aus dem inneren Kreisen dieser bislang notorisch niedergeschlagenen Musiker!
Dem Album selbst hört man das neu gefundene Glück allerdings nicht an: Es ist sehr, sehr elektronisch geworden, an einzelnen Stellen darf die mittlerweile schon bekannte Blues-Gitarre a la DM ein paar Noten zupfen. Schnell aber pulsieren wieder die Synthesizer, schlagen die elektrischen Drums ihren unbeirrbaren Rhythmus, dann bauen Depeche Mode und ihr Produzent Ben Hillier ihre nach wie vor melancholischen Klangwände auf.
Dave Gahan gibt wie gewohnt den reuigen Sünder und Wanderprediger, der einem voller Inbrunst und gelegentlicher Theatralik seine dunklen Geschichten entgegenwirft. Doch was heißt schon „seine“ Geschichten? Schließlich stammen sie, bis auf drei, vom Depeche-Mode-Hausschreiber Martin Gore. Dass der besser schreibt als singt, auch das kann man auf „Delta Machine“ wieder erleben: „The Child Inside“ heißt der einzige von Gore intonierte Song, er erinnert nicht an alte Klassiker-Balladen wie das naive „Somebody, sondern an die zu Recht eher unbekannten Solo-Sachen Gores. Auf gut Deutsch: man weiß bei diesem Song schon nach wenigen Sekunden, was man eigentlich an Gahan und seinem dramatischen Gesang hat: Der Sänger mit der ausgiebig diskutierten Drogenvergangenheit macht die in den Texten behaupteten Gefühle erst greifbar, beschwört vom ersten Ton an („Welcome to my world, step into my door“) eine Welt, die schwierig und grausam sein kann, aber auch Erlösung verheißt.
Auf den ersten Blick also alles beim Alten. Und dann doch noch eine Überraschung, vielleicht sogar die eigentliche Sensation von „Delta Machine“: Die drei besten Songs, also die, die sich sofort ins Ohr schrauben, stammen nicht von Martin Gore, sondern von Dave Gahan. Eine Sensation ist das deshalb, weil Gahan die ersten 25 Jahre bei Depeche Mode in Sachen Songwriting gar nichts zu melden hatte. Woher im Jahr 2013 Gahans plötzliche Fähigkeiten kommen, verrät dann allerdings der Blick ins Kleingedruckte: Er hat sich sowohl bei den Texten als auch bei den Noten helfen lassen von Kurt Uenala, einem in New York lebenden Schweizer, der unter anderem schon mit Electro-Star Moby gemeinsam an den Knöpfen drehen durfte. Uenala bedankt sich mit zweieinhalb Hits namens „Broken“, „Should Be Higher“ und „Secret To The End“, die an alte Hits wie „Little 15“ und „Behind The Wheel“ erinnern. Verweise auf früher, die die Band allein so wohl nicht hinbekommen hätte, mit Textzeilen wie „When you are a child, you dream of daylight, you dream of the future, get lost in your songs.“ Ja, so war das mal mit Depeche Mode, als sie noch jung waren!
Von diesen Ausflügen in die Vergangenheit abgesehen, geht es auf „Delta Machine“ insgesamt sehr technoid zu. Dafür ist vor allem Martin Gore mit seiner Vorliebe für minimale elektronische Musik verantwortlich. Entweder hat ihm die vor einem Jahr gemeinsam mit Ex-DM-Mitglied Vince Clarke (als VCMG) herausgebrachte Techno-Platte nicht gereicht oder ihn erst richtig auf den Geschmack gebracht: Sperrige, harte Sounds jedenfalls dominieren dieses Album, Martin Gore ist merklich stolz auf seinen riesigen Fuhrpark an modularen Synthesizern, lässt es – durchaus auch auf Kosten von Kommerzialität und Melodie - brummen und knarzen.
Schwer zu sagen, ob das noch der alte Depeche-Mode-Ansatz ist. Der sah ja vor, den Fans nicht immer nur das zu geben, was diese wollten, sondern sie auch zu provozieren. Mit jedem neuen Album verließen Depeche Mode ihre Sicherheitszone, den Anhängern einen Schritt voraus, nur um von ihnen einen neuen, noch stärkeren Treueschwur einzufordern. Profaner ausgedrückt: Depeche Mode verlangten von ihrer Gefolgschaft, sich jedes neue Album schönzuhören, aber dieses Spielchen machte es für beide Seiten interessant – 33 Jahre lang. Aber auch das ist inzwischen Routine geworden, so wie das ganze Unternehmen Depeche Mode. Man kann das am besten so beschreiben: Alle paar Jahre kommt ein neues Album, das sich, halb Zuckerwatte, halb Rasiermesser, zumindest im Aufbau kaum von den Vorgängern unterscheidet: Wie Beamte haben Gore und Gahan ihre Songwritingpflichten und –rechte aufgeteilt. Die Formel sieht ein paar Balladen, ein paar schnellere Nummern, eine Handvoll potentieller Singles vor. Das Cover wagt nichts, die Band wagt nur scheinbar etwas. Und zum Ende hin wird es dann noch mal etwas dynamischer, man soll schließlich nicht einschlafen. Immerhin: Bei all der Routine klingen Depeche Mode auch 2013 nicht altbacken oder unmodern, im Gegenteil, ihr Sound hat nach wie vor etwas knackig-frisches. Und auch wenn es nicht mehr für Begeisterungsstürme in Berliner Teenie-Discos reicht: Delta Machine ist vielleicht ihr bestes Werk in diesem Jahrtausend. Vielleicht! Erst einmal abwarten, wie lange es zum Schönhören braucht.