Kopfnuss von den heißen Fritten: Hot Chips "In Our Head"

Flower
Die anspruchsvolle elektronische Popmusik und ihre Anhänger sahen sich in der letzten Zeit schwer attackiert: David Guetta und Lady Gaga, Madonna und Skrillex, selbst Gossip schienen Teil des aufgewärmten Masterplans zu sein, der Dance Music möglichst komplett die Intelligenz auszutreiben. Eine einfache Gleichung: Je lauter der Sound und je billiger die Melodie, desto höher die Chartposition. Kirmestechno, Mutanten-Dubstep und andere Electro-Blähungen gingen zum Großangriff über, ganz so, als hätte es die letzten fünfzehn Jahre nicht gegeben. Der Bombast übertönte all die smarten, überraschenden, experimentellen Künstler und verstummte nur für einen Augenblick, um Musiker wie James Blake oder Grimes kurz winken zu lassen. Dann ging das Bombardement weiter. Jetzt, aber schlägt die intelligente Seite zurück und zwar in Gestalt der nach wir vor so unwahrscheinlichen Helden von Hot Chip.
Seit über einem Jahrzehnt vereinen Hot Chip in ihrer Musik scheinbar unvereinbare Stile. Aus verschiedensten Strängen der Dance Music weben sie ihre Songs, verzieren sie mit Folk-Rock-Melodien, färben mit Indie-Kolorit und präsentieren das Ganze mit Post-Punk-Attitüde. Hip Hop und R’n’B, Kraftwerk und Soft Rock, Funk und Disco sind weitere Bezugspunkte und es braucht Besessenheit und echte Begeisterung für Pop, um daraus nicht nur funktionierende, sondern großartige Musik zu machen. Hot Chip sind die New Order von heute. Nur besser.
Mittlerweile ist es ein Ereignis, wenn eine neue Hot-Chip-Platte ansteht. Vielleicht nicht so groß wie bei Madonna, aber groß genug, um echte Bewegung auszulösen – Hot Chip gelten als so etwas wie die Retter der Popmusik. Dieses Image, dieser Ruf dürften auch schuld am Dilemma sein, in das einen die Fab Five mit ihrem neuen Album „In Our Heads“ erst einmal stürzen: Soll man Musik, die mit Köpfchen gemacht wurde, aber auf den Bauch und die Beine abzielt, nun mit Hilfe des Körpers oder doch mit dem Geist beurteilen?
Eine entscheidende Frage. Der Kopf nämlich sagt: Wichtige Band. Wichtige Platte. Wichtige Musik. Das Gefühl bleibt skeptisch: Klingt das nicht so wie immer?
Erleichterung nach dem dritten Hördurchgang, als sich der scheinbare Widerspruch auflöst: „In Our Head“ ist nämlich doch richtig groß. Nur machen es einem Hot Chip nicht leicht, das sofort zu spüren. Fast so, wie eine ordentliche Trennung zwischen zwei Liebenden erst einmal die verschiedenen Phasen von Nicht-Wahrhaben-Wollen, Wut, Trauer und Akzeptanz durchläuft, brauchen Hörer und Musik Zeit, ihr über die Jahre gewachsenes Verhältnis neu zu klären. Das liegt unter anderem daran, dass die Band zwar sofort als Hot Chip zu erkennen ist, aber mittlerweile einen Sound pflegt, der sich als „disharmonische Harmonie“ beschreiben lässt. Die verschiedenen Synthesizer-Linien ergänzen sich nicht etwa, wie es sonst bei um Wohlklang bemühten Musikern der Fall ist. Sondern sie kämpfen miteinander, aus ihrem jeweiligen Frequenzbericht heraus. Ein offensichtlicher Hit wie „Over and Over“, „Boy From School“ oder „Ready For The Floor“ aus früheren Zeiten findet sich auf dem neuen Album auch erst einmal nicht. Jetzt heißen die Lieder „Motion Sickness“ oder „Flute“ und sind meist im DiscoHouseTechno-erprobten 4/4-Takt gehalten. Trotzdem passiert in Sachen Beat so viel, dass das Gefühl von Unruhe entsteht. Aber eben nur bis zu dem Punkt, an dem es „Klick“ macht und man den ganzen Charme der Platte erkennt. „In Our Heads“ ist warmherzig und menschlich, trotz des großen Maschinenparks, der zur Klangerzeugung benutzt wird, moderner Soul, der große Leidenschaft durch Gelassenheit und Understatement ersetzt.
Hot Chip, das ist vor allem die Band von Joe Goddard und Alexis Taylor, die sich vor über zwanzig an ihrer Londoner Schule kennenlernten. Beide singen, beide verströmen diese charakteristische Wärme, aber es ist nicht die tiefe, sanfte Stimme von Goddard, sondern die sehr hohe, verletzliche, aber ebenfalls sanfte Stimme von Taylor, die dafür sorgt, dass Hot-Chip-Musik immer als solche zu erkennen ist. 2000 fanden sich alle Mitglieder von Hot Chip zusammen - „fünf weiße Mittelklasse-Jungs mit einer Vorliebe für die Beastie Boys und Destinys Child“, wie Goddard es einmal beschrieb, die an ihrer ganz eigenen Version von irgendwie störrischer, aber gleichzeitig perfekter Musik schraubten. Sechs Jahre später war die popinteressierte Welt bereit für die Gruppe mit dem eigentümlichen Gesang. Vielleicht lag es an den Gefühlen, die Hot Chip transportierten, an ihrer Begeisterung und Melancholie. Definitiv aber auch daran, dass sich der Club-Dancefloor geöffnet hatte: Pop war kein Schimpfwort mehr und Gitarren kein Instrument des Teufels. „Als wir anfingen, wollten wir uns unbedingt nach etwas Neuem anhören“, sagt Alexis Taylor heute, „auch wenn man sagen muss, dass wir nicht so originell sind, wie wir gerne wären.“ Britisches Understatement, denn auch für das neue Album gilt die Hot-Chip-Maxime: Niemals das Offensichtliche machen!
Dieser Anspruch, gepaart mit dem Äußeren der Bandmitglieder, sorgte wohl auch für das größte Missverständnis in Sachen Hot Chip: Dass man es hier mit einer Nerd- oder Geek-Band zu tun habe, die nicht ernst zu nehmen sei und sich auch nicht lange halten werde. Hot Chip, so hieß es schnell, sei das Ergebnis von Ironie plus Cleverness plus Referenzüberschuss plus ungewöhnliche Klamotten und auffälligen Brillen. Aber spätestens jetzt, nach dem fünften großartigen Album in Folge, muss man Hot Chip in eine ganz andere Tradition als die von „Hipster House“ stellen: In die der großen englischen Bands, mit eigenem Sound, besessen, romantisch und ernsthafter als früher. In fast all ihren neuen Songs geht es vordergründig um den Dancefloor, eigentlich aber um ein Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit, um den Wunsch, gleichzeitig Individuum und Teil von Etwas zu sein. Und noch etwas schwingt mit, eine Art präventive Nostalgie: Die Band, so scheint es, ahnt, dass ihr Gefühl für Musik, die Begeisterung, die all das erst möglich macht, nicht von Dauer sein können und irgendwann schwinden müssen. Jede Wette, dass Hot Chip das so lange wie möglich hinauszögern werden!