Mobilegirl weiß, was sie will

Flower
Mobilegirl ist der Künstlername der 23-jährigen Bao-Tran Tran. Die in Berlin lebende Musikerin ist im Rahmen des diesjährigen CTM zu erleben. Wenn alles nach Plan läuft, dann wird das aber nicht das letzte Mal sein, dass man von ihr hört. Denn sowohl als DJ wie auch als Produzentin geht sie Wege abseits der ausgetretenen Pfade (um mal diese ausgetretene Formulierung zu benutzen).
Es ist einer dieser ekligen Wintertage in Berlin: grau, kalt, schmuddlig und grau, grau, grau. Und natürlich schmuddlig. Bao-Tran Tran, 23 Jahre alt, sehr schlank, und ganz in Schwarz gekleidet, kommt völlig durchgefroren aus Kreuzberg zum vereinbarten Treffpunkt, einem Cafe in Prenzlauer Berg. Die Kälte macht ihr so sehr zu schaffen, dass man als mitfühlender Mensch überlegt, ob man ihre schmalen Hände nehmen und sie warm reiben sollte. Aber der Gedanke verfliegt so schnell, wie er gekommen ist: Bao-Tran Tran, Künstlername mobilegirl, ist sicherlich kein Mensch, der einem so etwas erlauben würde. Und sie würde sich wohl auch selbst so einen Moment der Schwäche verbieten. Sie spricht zwar ziemlich leise, aber sehr selbstbestimmt und frei von Ironie. Mobilegirl macht den Eindruck, als wüsste sie ziemlich genau, was sie will und was sie nicht will.
„Ich hatte nie das Gefühl, dass ich sehr musikalisch bin“, sagt sie am Anfang des Interviews, aber es sei dann doch alles anders gekommen als geplant: mit 17 Abitur in München, anschließend Medieninformatik-Studium und Jobs im Designbereich. Ein Freund fragte sie dann, ob sie nicht einmal auflegen wolle. Und wenig später habe sie dann auch schon den ersten Track produziert. Seit knapp anderthalb Jahren wohnt mobilegirl in Berlin und verdient ihr Geld mit Musik. Gelegentliche Remixe und vor allem die Auftritte machen es möglich.
Für Außenstehende ist das immer ein bisschen verwunderlich: Wie kann es sein, dass eine junge Frau, von der außerhalb einer kleinen Nische noch niemand gehört hat, von der es keine Platten oder CDs zu kaufen gibt, die ganz wenige eigene Songs veröffentlicht und nur ein paar Remixe für andere Künstler angefertigt hat, von ihrer Musik leben kann? Es hat damit zu tun, dass mobilegirl in ihrer Nische alles richtig macht. Gleich drei Mal hat sie letztes Jahr einen Auftritt bei der für die Clubkultur so wichtigen Online-Boiler-Room-Plattform hingelegt, so oft wie sonst keiner im Jahr 2016. Sie hat zum ersten Mal eine kleine Asientour hinter sich gebracht, ist in den USA aufgetreten, in London, Stockholm, Krakau. Auch nicht unwichtig: Ihre DJ-Sets sind alles andere als herkömmlich, von Reggaeton über R&B bis hin zu House und Techno entwickelt es sich bei ihr. Und alles wird permanent verändert, das Tempo zieht an und bremst wieder ab, Gesangsparts werden verhackstückt, Rihanna, TLC, Jennifer Lopez und andere große Namen mutieren bei mobilegirl zu hochdramatischen, aber unbekannten Stimmen. „Meine DJ-Sets sind sehr eklektisch“, beschreibt Bao-Tran Tran ihre Herangehensweise, „ich fange sehr langsam an, mein innerer Leitfaden ist Stimmung. Also jetzt keine bestimmte Stimmung, sondern ich selbst reagiere mit der Musik, die ich auflege, auf meine eigene Stimmung. Ärgere ich mich zum Beispiel über den Veranstalter, dann läuft auch gleich ein harter Track. Ich mag Brüche und versuche, es tanzbar UND spannend zu halten. So einfach.“

So einfach, wie mobilegirl tut, ist das aber gar nicht. Unzählige versuchen sich an der DJ-Karriere, viele scheitern, weil sie es nicht schaffen, etwas Einzigartiges abzuliefern, sondern letztlich austauschbar bleiben. Sie aber will ihr Publikum nicht langweilen und auch nicht sich selbst: „Meine DJ-Sets haben nicht so viel mit der Musik zu tun, die ich produziere. Mein Producer-Ich und mein DJ-Ich sind sehr unterschiedlich, da bin ich im Konflikt mit mir.“ Aber auch die selbstproduzierten Stücke, die man zum Beispiel auf ihrem Soundcloud-Account hören kann, hören sich sehr eigen an, melancholisch-melodisch, voll mit glockenartigen, metallischen Synthesizer-Klängen und ganz und gar nicht langweiligen Beats. Sie entstehen bei mobilegirl zu Hause, unter Kopfhörer, am Rechner mit der Produktionssoftware Ableton. Die hat zwar auch mindestens jeder zweite Produzent elektronischer Musik auf dem Laptop, aber entscheidend auch hier, was man daraus macht: „Ich kann überhaupt keine glücklichen Songs spielen oder hören, das hat für mich etwas Flaches.“
Wo kommt sie her, diese Ernsthaftigkeit, die so gar nicht aufgesetzt wirkt? Bao-Tran Tran redet nur vorsichtig über persönliche Dinge, aber ganz so einfach scheint es nicht gewesen zu sein mit ihren Eltern. Vater und Mutter sind unabhängig voneinander in den 70er-Jahren aus Vietnam geflohen und haben sich in Deutschland kennengelernt. Bao-Tran Tran hat keine Geschwister, die Eltern legten sehr viel Wert auf Bildung und hätten es wohl am liebsten gesehen, wenn ihre Tochter Ärztin oder Anwältin geworden wäre: „Meine Eltern finden das nicht gut mit der Musik, die hätten sich gewünscht, dass ich auf Nummer Sicher gehe. Ihnen wurde in Vietnam Bildung untersagt, meine Mutter zum Beispiel wollte eigentlich Lehrerin werden, durfte sie nicht, klar, dass sie von mir anderes erwarten.“ In dieser Hinsicht war der Umzug nach Berlin im September 2015 für mobilegirl eine Befreiung. Hier hat sie Gleichgesinnte getroffen, Musiker, hier hat sie zu schätzen gelernt, dass sie mit zwei Kulturen aufgewachsen ist und verstanden, dass sie ihr eigenes Leben leben muss, nicht dass ihrer Eltern: „Ich hatte mit 17 Abitur gemacht, war eine gute Schülerin, aber hatte nicht viel Interesse an der Schule. Leistung war megawichtig. Das ist so dieses typisch Vietnamesische.“ Seit sie in Berlin ist, ist alles anders. Hier spricht sie meist Englisch, weil ihre Freunde aus aller Welt kommen, hier dreht sich vieles um die Musik, man beeinflusst sich gegenseitig, wird gerade gemeinsam melodischer, bastelt an der jeweils eigenen musikalischen Karriere. Und wie ist das mit ihrem Namen? „Wie gesagt, ich hatte nie vorgehabt, hauptberuflich Musik zu machen, aber dann ging es auf einmal los und ich brauchte ein Soundcloud-Pseudonym. Damals gab es gerade neue Facebook-Sticker, mobilegirl war ein kleines asiatisches Kind mit Topfschnitt und weißer Katze. Sie hat mich an mich erinnert, als ich vier war.“ Bao-Tran Tran denkt aber, dass der Name nicht die beste Wahl war: „Man erkennt sofort, dass ich eine Frau bin. Und dieses „girl“ ist auch verniedlichend, ich könnte mir vorstellen, dass ich damit nicht so ernst genommen werde“.
Fear, Anger und Love, Angst, Wut und Liebe, so lautet das Thema dieses Jahr beim CTM Festival. Die Emotionen treten in den Vordergrund. Wo sieht sich mobilegirl? „Fear würde ich musikalisch ausschließen, aber Anger und Love, damit kann ich was anfangen.“