Techno? Angekommen!

Flower
Ein verregneter Sonntag, die Arbeit stapelt sich, die Lust, sich an sie ranzumachen, geht gegen Null. Also genau der richtige Moment, sich einmal Gedanken zu machen über eines der nach wie vor wichtigsten Dinge: Techno. Schuld an den Gedanken ist – auch - ein Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Gespräch mit Moritz von Oswald, einer bald 50 Jahre alten „Lichtgestalt des Techno“. Eine ganze Seite ist dem Musiker gewidmet. Moritz von Oswald ist Bismarck-Ururenkel und hat ein außertechnoides Musikleben vorzuweisen. Trotzdem stellt sich die Frage: Was sagt das eigentlich über Techno aus, dass sich die FAZ so ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt?
Eine ganze Menge. Aber vorher sollte man noch mal kurz abschweifen: Es gab eine Zeit, da ging ein Großteil der Medien mit dem Thema Techno meist auf eine sehr unbeholfene Art und Weise um: Journalisten betrachteten in den 90ern das Massenphänomen oft so wie eine Kreisredaktion das Schützenfest: Mit Unverständnis und Distanz, aber auch als Pflichtveranstaltung, über die berichtet werden musste. Man begriff aber gar nicht, was genau da stattfand, man fand einfach nicht die richtigen Worte und flüchtete sich in bescheuerte Floskeln: Loveparade-Besucher waren natürlich „Techno-Jünger“ oder „Raver“, aus den Boxen kam meist „Bumm-Bumm“ oder ein „wummernder Takt der Musik“, gefeiert wurde „bis zum Umfallen“. Die feiernden Jugendlichen wussten ihrerseits, was erwartet wurde: Alles war „geil“, „endgeil“, „einfach nur geil“. Oder auch mal „genial“. Die Musik interessierte die Berichterstatter sowieso nicht, man versuchte gar nicht erst, Stil-Unterschiede zu erkennen oder zu erklären. Diskussionen um Underground und Mainstream, Ausverkauf und Qualität der Musik wurden konsequent ignoriert. Es war ja auch schwer zu beschreiben, wenn man noch nie selbst gefeiert hat. Die, die da schrieben, waren nicht Teil der Szene.
Das Radio, zumindest in Berlin, wo ich das um 1990 herum mitbekam, war eine echte Ausnahme. Moderatoren wie Barry Graves und Monika Dietl („Moni D.“) wussten von der Musik und sie wussten von der Szene. Sie holten sich die richtigen Leute ins Studio, sie waren nicht neutrale Beobachter, sondern Teil des Ganzen – aus journalistischer Sicht also machten sie ziemlich viel falsch, aus Sicht der Hörer alles richtig. Sie waren das, was Szenemagazine wie die Frontpage und andere schriftlich machten.

Lange ist all das her. Und auch wenn in hunderten von Clubs in ganz Deutschland die elektronische Tanzmusik nach wie vor das Nachtleben bestimmt: die Zeiten von Techno als Massenphänomen sind vorbei. Techno findet in den entsprechenden Spezial-Magazinen statt, in den Nischensendungen im Radio, auf den Festivals und in den Clubs. Und ab und zu in den „seriösen“ Zeitungen, den „Qualitätsmedien“. Dann fast immer an Personen gebunden: Sven Väth taucht oft auf, selbst im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung, seltsamerweise auch H.P. Baxxter von Scooter. Das Interview mit Moritz von Oswald in der Frankfurter Allgemeinen ist da schon eine echte Ausnahme – und zwar in doppelter Hinsicht: Der Mann ist, „Lichtgestalt“ hin oder her, auch in Technokreisen nicht jedem präsent. Außerdem gibt er normalerweise keine Interviews. Das Interview ist im Netz leider hinter einer Bezahl/Abonnement-Schranke versteckt, lohnt sich aber: Vieles, so lernen wir da, ist MvO „völlig gleichgültig“, vor allem, was er selbst für einen Ruf genießt. Er mag die Vergleiche von Musikjournalisten nicht, die behaupten, das klinge jetzt wie das oder das oder das. Er redet über die Rolle des Bass und der Trommel, über klassische Musik, ein wenig über sich und sein Projekt Basic Channel, das so viele Dub-Techno-Produzenten beeinflusste.
Interessant, aber mir stellte sich die ganze Zeit die Frage: Warum ist das in der FAZ, dieses Interview? Meine Vermutung: So, wie einst die 68er den Marsch durch die Institutionen antraten, ist auch die „Generation Techno“ mittlerweile angekommen. Menschen so wie ich, die mit der Club-Kultur erwachsen geworden sind, die von ihr geprägt wurden, die wissen, was einem der Kreislauf aus Feiern, Musik, Erholen und wieder Feiern geben (und nehmen) kann, sitzen in den Redaktionen oder arbeiten als Reporter und Autoren. Sie finden Dinge spannend, die die „Nichttechnoiden“ nicht einmal ansatzweise verstehen. Für sie ist und war Techno mehr als nur billiges Rummelvergnügen, sondern eine Lebensweise. Mir gefällt der Gedanke.

Techno, das kann man an anderer Stelle lesen, ist schon lange keine reine Jugendkultur mehr. Techno ist, wie zuvor der Jazz, der Rock, der Reggae, der Hip Hop, in die Jahre gekommen. Eine kristallisierte Kultur: Die Grenzen sind abgesteckt, die Formel, das Format stehen. Erwartet wird die nächste Kulturrevolution. Wenn sie kommt, dann werden auch hier zunächst die Worte fehlen.