Tricky - ein ganzer Kerl dank Trip Hop

Foto: Promo
Und noch ein neues Album von Tricky: Mixed Race heißt seine neue CD und wenn ich mal kurz persönlich werden darf: Es ist das beste, das er seit langem gemacht hat. Tricky, wir erinnern uns, wird immer noch gerne von Schubladensteckern als der „Pate des Trip Hop“ bezeichnet. Warum er nicht nur diesen Titel, sondern auch den Begriff „Trip Hop“ schwachsinnig findet, erzählt er im Interview. Außerdem geht es um schusssichere Westen, eingeknastete Freunde, Nacht-Club-Eskapaden, um eine erneute Zusammenarbeit mit Massive Attack und das britische Klassensystem. Also eigentlich alles drin!

Schmuddelwetter, von der Sonne keine Spur – der perfekte Tag, um über ein neue Tricky-Album zu reden, oder?
Warum das?

Ihre Musik hat fast immer eine dunkle und melancholische Seite, das passt doch hervorragend zu grauem Himmel und grauen Gesichtern.
Mein neues Album ist dunkel, aber das hat nichts mit grauen Tagen zu tun. Es ist es eine Art von Dunkelheit, die man in der kriminellen Unterwelt findet. Wie der Soundtrack für einen Gangster-Film

Haben Sie eine düstere Persönlichkeit?
Ich habe eine dunkle Seite. Wenn ich nicht mit der Musik angefangen hätte, dann wäre ich vermutlich ein Krimineller. Ich bin kein gewalttätiger Typ, das liegt nicht in meiner Natur, aber ich weiß ganz genau: Ich wäre ein Verbrecher geworden, so wie viele andere aus meiner Familie.

Ein Produkt Ihrer Umgebung? Sie sind in Knowle West aufgewachsen, das ist nicht gerade die Sonnenseite von Bristol.
Ja, so kann man das sagen. Allerdings habe ich da auch schnell gesehen, dass ich so nicht leben möchte. Und als ich dann die Gelegenheit kam, mein Leben zu ändern, habe ich zugegriffen.

Sie fingen vor über 20 Jahren mit dem Musikmachen an, inzwischen sind Sie bei Ihrem neunten Soloalbum, es heißt „Mixed Race“ – und wieder verarbeiten Sie sehr persönliche Erfahrungen.
Ich wuchs in zwei verschiedenen Welten auf: Meine Großmutter war weiß, mein Onkel war weiß, mein Vater Jamaikaner.

Ihren Vater haben Sie nie gesehen, Ihre Mutter hat sich umgebracht, als sie vier waren. Bei wem sind Sie aufgewachsen?
Bei meinem Onkel und meiner Großmutter. Ich habe viel jamaikanische Musik gehört, aber auch Marc Bolan und T. Rex, Gary Numan. Ich ging in Clubs, wo nur Dancehall Music lief, wo sich kein Weißer reintraute. Aber auch ins Robin’s, einem Club für Fußball-Hooligans, wo ich der einzige Schwarze war. Ich war in beiden Welten zu Hause und hatte das Glück, von einer Seite des Zauns auf die andere Seite gehen zu können.

Wurden Sie denn diskriminiert?
Ja, aber anders, als Sie jetzt vielleicht denken: Knowle West, das war wie ein Ghetto, da wohnten nur Weiße. Trotzdem hatte ich nie Schwierigkeiten. Aber schon unsere Lehrer machten uns klar: Für uns aus Knowle West gibt es keine Jobs. Wir kamen auch in die Clubs nicht rein – nur, weil wir aus Knowle West waren: Unterklasse! Da spürte ich zum ersten Mal das britische Klassensystem.

Sie sagen, Sie hätten auch kriminell werden können. Fasziniert Sie das Gangster-Leben?
Es gibt jede Menge Platten, auf denen vom Gangster-Lifestyle geschwärmt wird. Aber das ist wirklich nicht mein Ding. Ich will keine Werbung für Waffen machen, ich will keine Werbung für Gewalt machen. Aber ich habe einen bestimmten Lifestyle gelebt. Als ich in den USA wohnte, trug ich Waffen mit mir rum, eine kugelsichere Weste, in New York im Club haben wir manchmal 5000 Dollar für Champagner ausgegeben – wie Gangster. Ich habe das also alles mitgemacht, aber das ist nichts tolles, nichts, was man glorifizieren solle.

Schon gar nicht, wenn man an die Gewalt denkt, die so ein Leben mit sich bringt.
Drei von meinen Verwandten wurden ermordet. Zwei erschossen, einer erstochen. Ich habe einen Freund, der zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Das betrifft mich nicht direkt, aber ich kann dem ganzen auch nicht entfliehen.

Warum nicht?
Ich muss aufpassen, wo ich hingehe, ich muss mir ständig Gedanken machen, dass ich nicht in irgendwelchen Sachen hineingezogen werde. Letztes Jahr gab es eine Schlägerei auf einem Festival. Ich war schon lange vor dem Ärger nach Hause gefahren, aber ein paar Freunde waren darin verwickelt Tags darauf stand in der Zeitung: „Tricky started a fight!“ Und prompt bekam ich Festival-Hausverbot

Sind Ihre Songs eine Art Selbsttherapie?
Manchmal sind sie wie ein Tagebuch, manchmal eher wie ein Dokumentarfilm. Es geht um meine Vergangenheit, es geht um mein Leben. Nehmen wir zum Beispiel das neue Album: Im Booklet ist ein Foto, darauf bin ich als 2-Jähriger zu sehen, gemeinsam mit meiner Mutter. Ich habe dieses Foto erst vor wenigen Monaten bekommen, es war das erste Mal, dass ich mich gemeinsam mit meiner Mutter auf einem Foto gesehen habe. Mir haben die Knie ... ich weiß nicht, es war ein sehr, sehr seltsames Gefühl. Und jetzt ist das Teil der CD. Ich kann also sagen: Ok, auch das darf ich jetzt hoffentlich hinter mir lassen. So gesehen ist es Selbsttherapie.

Wenn man sich ansieht, mit wie vielen Leuten Sie immer zusammenarbeiten, auch jetzt auf Mixed Race, kommt einem der Gedanke: Tricky kann nicht allein sein.
Dabei gibt es einen ganz einfachen Grund dafür: Meine Stimme allein trägt kein ganzes Album. Es gibt nicht viele Musiker, die ich ein ganzes Album lang ertragen kann. Kate Bush vielleicht, Rakim. Außerdem: Wenn ich meine eigenen Texte singe, dann ist das eine Sache. Wenn eine Sängerin das tut, eine ganz andere, sie spricht ganz andere Menschen an. Ich brauche also manchmal die Hilfe anderer, um meine Message zu verbreiten.

Ihr neues Album ist sehr viel direkter und eingängiger als die vorigen, tanzbar und mitunter sogar poppig. Ein neuer Tricky?
Ich wollte mit dem Stereotyp aufräumen, dass ich immer nur dunkel und schlecht gelaunt bin. Natürlich hätte ich auch noch einmal so ein Album wie mein Debüt Maxinquaye machen können. Das interessiert mich aber nicht. Ich bin immer noch am Lernen, am Herumexperimentieren. Mein nächstes Album könnte sich schon wieder ganz anders anhören.

Das Produzieren erledigen Sie alleine?
Ja, ich mache alles alleine. Ich will das Gefühl haben, dass es meins ist. Wenn da jemand anderes seine Finger mit im Spiel hat, dann könnte ich vielleicht nicht mehr mit gutem Gewissen sagen: Das ist von Tricky!

Nächstes Jahr steht das 20. Jubiläum des Massive-Attack-Debüts „Blue Lines“ an – für manche das erste Trip-Hop-Album und Sie waren daran beteiligt. War das damals eine musikalische Revolution?
Ich weiß nicht ... wie hatten diese Art von Musik schon lange vorher gemacht. Hip Hop war eine musikalische Revolution und wir kamen aus dem Hip Hop. Aber Hip Hop war damals noch nicht das Riesending, das es jetzt ist, vor allem nicht in England. Wir waren die ersten, die etwas mit diesem Hip Hop gemacht haben und damit erfolgreich waren. Also kann man wahrscheinlich wirklich sagen, dass das eine Art von musikalischer Revolution war.

Noch immer gibt es Journalisten, die Sie als „Godfather of Trip Hop“, als den „Trip-Hop-Paten“ bezeichnen. Sie mochten diesen Titel nie. Was gefällt Ihnen daran nicht?
Was soll das sein, der Trip-Hop-Pate? So etwas gibt es doch gar nicht. Außerdem ist das für jeden Musiker ein gefährliches Spiel, sich in eine Schublade stecken zu lassen: Ist es mit der Musik, für die du stehst, vorbei, dann ist es auch mit dir vorbei!

Aber ist Trip Hop nicht einfach nur ein Name für eine bestimmte Art von Musik, so wie Jazz oder Hip Hop oder Techno, die es einfacher macht, sie zu beschreiben?
Ja, aber Trip Hop, das ist ein Begriff für eine Musik, die nicht existiert. Es ist ein dummer Begriff, es hört sich blöd an.

Wie nennen Sie denn diese Art von Musik?
Ich habe immer nur gesagt: Das ist meine Musik. Ich bin ein Individuum, ich mache individuelle Musik, es ist also Tricky-Musik.

Und die Musik von Massive Attack? Wie haben Sie die genannt?
Das war für mich irgendwie ... housig. House music. Und Musik von Portishead, das war für mich Breakbeats, auf die ein Mädchen gesungen hat, untermalt mit Samples von Serge Gainsbourg und so.

Auch wenn Sie den Begriff „Trip Hop“ ablehnen – verspüren Sie trotzdem so etwas wie Dankbarkeit, wenn Sie zurückdenken? Schließlich fußt Ihre Karriere auch auf dem Erfolg von damals.
Definitiv! Massive Attack waren ein Super-Ding für mich. Wenn ich damals nicht in dieser Szene drin gewesen wäre .... also, ich würde auf jeden Fall bis heute Musik machen, aber der Erfolg damals war die Abkürzung, die mich aus all meinen Schwierigkeiten rausgeholt hat. Oder verhindert hat, dass ich noch mehr Schwiergkeiten bekomme.

Jetzt heißt es, dass Massive Attack und Tricky wieder gemeinsam arbeiten wollen, obwohl sie sich so lange aus dem Weg gegangen sind.
Wir haben drüber geredet. Danach ist Daddy G. von Massive Attack an die Öffentlichkeit gegangen, deshalb weiß jetzt jeder davon. Aber Reden allein macht keine Musik. Wir sollten ins Studio gehen und zusammen etwas aufnehmen, nicht mit der Presse darüber reden. Ich bin jedenfalls bereit und warte darauf, dass ihre Leute mit meinen Leuten reden. Ich hoffe, dass es klappt.

Letze Frage: Tricky heißt eigentlich gar nicht Tricky, sondern Adrian Thaws. Nennt Sie manchmal jemand so?
Viele Menschen machen es nicht. Manchmal im Hotel, Meine Großmutter pendelt zwischen Adrian, Aitsch und Tricky. Aber eigentlich bin ich für die meisten Tricky. Zumindest, seit 14 bin. Damals war ich ein bisschen unzuverlässig, ich kam zu spät, ich hab mein Ding durchgezogen. Ich war aber auch neugierige, kannte die neuesten Clubs. Ich war eben .... ein bisschen tricky.

Mixed Race erscheint am 24.09.2010. Dieses Interview mit Tricky ist in gekürzter Form im Tagesspiegel veröffentlich worden.




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